Die wunderbare Welt der Angststörungen

Die Klinik – Teil 5. Hin und her.

Wer von Euch den Teil 4 gelesen hat, hat es vielleicht schon geahnt: das konnte nicht so positiv weiter gehen. Der Rückfall kommt am darauf folgenden Wochenende. Wieder habe ich große Schlaf-Probleme. So empfinde ich das zumindest. Wieder versuche ich krampfhaft, einzuschlafen und durchzuschlafen, um mich genau damit um den Schlaf zu bringen. Wieder funktioniert nichts von dem, was ich in der Klinik dachte, gelernt zu haben.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag soll ich mich zu Hause wieder „paradox“ verhalten und versuchen, auf keinen Fall zu schlafen. Doch statt dies mit einem Lächeln als Herausforderung zu sehen, liege in der Nacht und ärgere mich. Die Stille schreit mich an und das Dunkel ist so hell, dass selbst verschlossene Augen nichts ausrichten können. Mein alter Gedanke ist wieder da: „Ich will doch einfach nur schlafen“. Ein Gedanke, so naiv wie falsch und vor allem ein Gedanke vom Beginn meiner Therapie. Schon wieder ist mein Leidensdruck so groß, dass ich vergesse, dass „Schlafprobleme“ nur das Symptom ist, aber nicht die Ursache. Trotzdem mache ich lehrbuchartig alle Fehler, die man als Patient so machen kann. Als ob ich nichts dazu gelernt hätte. Alles wieder zurück auf Anfang, so fühlt sich das an. Nach fast zwei Monaten Therapie.

Mann mit Schirm im Regen
Quelle: Pixabay / Pexels

Soll ich aufgeben?

Am Sonntag Morgen habe ich zwar einige Stunden auf der Schlaf-Uhr zusammen bekommen, aber ich fühle mich verzweifelt: das bringt doch alles nichts, das macht alles keinen Sinn, ich lerne da überhaupt nichts, mir kann niemand helfen. All das sind Sätze, die wie scheue Rehe in meinem Kopf hin und her springen. Eine ganze Herde davon. Unkontrollierbar. Oder wo wir gerade bei mehr oder minder guten Metaphern sind: wie ein riesiges Gewitter mit lautem Regen und Hagel und niemals enden wollenden Blitzen. Der Wind peitscht mir ins Gesicht, in bin tropfnass und kann vor lauter Regen nichts mehr erkennen. Nicht den Weg, den ich schon zurück gelegt habe, nicht das Ziel, auf das ich zusteuere. Kopf-Chaos. Am liebsten würde ich alles hinwerfen. Der kleine Erfolg vom Wochenende vorher hat sich irgendwo unter dem Bett verkrochen und ist unauffindbar.

All das ist in den darauf folgenden Tagen ein wichtiges Thema in der Klinik. Denn es kommt noch schlimmer: in der Nacht nach dem Wochenende daheim schlafe ich plötzlich auch in der Klinik schlecht. Der Ort, der in den letzten Wochen mein Rettungsanker war, weil ich hier immer gut ein- und durchschlafen konnte. „Jetzt geht das hier auch noch los“, denke ich und katastrophisiere: „Ich werde nie mehr einen Ort finden, wo ich schlafen kann und mein Leben wird den Bach runter gehen“. 

Das macht doch alles keinen Sinn!?

Ich fühle mich von den Therapeuten unverstanden und in diesem „Laden“ völlig fehl am Platz. „Ja, ist ja schön, dass wir an den Ursachen im Hintergrund arbeiten, aber wenn sich das vordergründige Symptom nicht langsam verbessert, drehe ich durch“. Ich schnauze den Klinik-Leiter an, beschwere mich, fühle mich nicht ernst genommen, entschuldige mich anschließend für die – für meine Verhältnisse – rüde Wortwahl. Ich ahne, dass die Mitarbeiter in einer Klinik damit umgehen können, denn sie zeigen einen Persönlichkeitsanteil, der für die Therapie noch wichtig werden könnte: Ich bin sehr unversöhnlich mit mir, glaube mir nichts, rechne – wie mein Vater – „immer“ damit, dass „alles“ im Chaos enden wird. Unterm Strich: Ich habe kein Vertrauen. Nicht in mich, nicht in die Klinik, nicht in andere Menschen, nicht in mein Leben.

Gewitterwolken mit Blitzen
Quelle: Pixabay / WikimediaImages

Dabei wollte ich doch in zwei Wochen die Klinik verlassen. Ich bin riesig enttäuscht von mir selbst. Mutlos. Traurig. Aber zumindest belehrbar: Mitglieder aus meiner Therapiegruppe überzeugen mich, dass es keinen Sinn macht, auf Biegen und Brechen eine Therapie zu beenden, nur weil man es mal so geplant hatte. Ich verlängere meinen Aufenthalt. Ein weiterer Monat. Und bin von mir selbst enttäuscht, „es“ nicht schneller geschafft zu haben. Therapie kostet viel Geduld.

Hoffnung, Enttäuschung, Hoffnung

An diesem Punkt könnte ich aufhören zu schreiben und es wäre eine traurige Geschichte. Aber das Leben ist eben anders und so ergibt sich nur einen Tag später eine Überraschung. Einer meiner Therapeuten erzählt mir davon, dass er früher selbst mal große Schlafprobleme hatte, als sein Leben in einer schwierigen beruflichen Phase war. Ihm habe es geholfen, sich folgendes vorzustellen, wenn er im Bett liegt:

„Super, dass ich jetzt hier liegen kann. Das Bett ist sooo gemütlich und die Bettdecke ist sooo kuschelig. Man, ich fühle mich hier gerade richtig wohl. So wie in einer Kuschel-Höhle. Ich darf hier einfach so entspannt liegen, muss gar nichts leisten, wenn ich will kann ich einfach lesen oder ein Hörspiel hören und mich einfach wohl fühlen. Ausstrecken, gähnen, die Gemütlichkeit genießen.“

 

Fast muss ich weinen, als ich das hier aufschreibe, denn es trifft genau das, was ich gerne wieder für ein Bett empfinden möchte. Statt Angst vor der nächsten Nacht.

Mann im Wald mit Sonnenaufgang hinter Bäumen
Quelle: Pixabay / Joe

Wie finde ich wieder Vertrauen in mich?

Ich probiere es aus. Es tut keine Wunder und ich brauche eine halbe Stunde, damit es wirkt. Aber ich merke, wie mir wohlig warm wird. Und ich mich richtig gut fühle. Ich schlafe ein und durch, bis der Wecker klingelt. Das klingt so einfach, dass es lächerlich wirkt. Ein paar Worte sollen die Lösung für mein jahrelanges Schlafproblem sein? Natürlich nicht. Denn  diese wenigen Worte sind das Ergebnis eines langen Prozesses und für mich viel mehr als nur ein paar einfache Worte. Ich habe an mir selbst erlebt, wie diese Worte entstanden sind, die Hoffnungen und die Verzweiflung beobachtet und der Wunsch, endlich eine Lösung zu finden. „Moooooment, das wollen wir erst mal abwarten“, denke ich skeptisch. Zu viel schlimmes habe ich in letzter Zeit erlebt. Und in der Tat laufen psychische Prozesse nicht linear, wie ich inzwischen weiß. Aber jeder kleine Erfolg ist ein Erfolg. Jeder gute Tag ist ein Tag für meine „Gute Tage-Liste“. Geduld! Das schwierige Wort für mich. Ich werde sehen, wie es weiter geht.

2 Kommentare

  1. Marion

    Lieber Sascha, ich wünsche Dir einen tiefen, festen Schlaf. Und danke für den Tipp mit der kuscheligen Höhle! Ich werde ihn gleich heute Abend testen… Viele liebe Grüße, Marion

    • Sascha Schwarz

      Liebe Marion. Danke für deine lieben Worte. Ich wünsche dir von Herzen, dass es bei dir auch wirkt. Ich glaube, wichtig ist rin Bild zu finden, mit dem man selbst sehr ruhige Emotionen verbindet und auch einfach wohl fühlt. Bei mir hat zufälligerweise die Sache mit der Kuschelhöhle funktioniert. Hoffentlich findest du auch ein Bild, mit dem du etwas anfangen kannst. Liebe Grüße. Sascha.

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