Es klingt genau nach dem Klischee, das man bei Psychotherapeuten erwartet: Der Auslöser von allerlei „Knoten im Kopf“ ist oft die Kindheit, heißt es. Darum war ich sehr skeptisch, als ich in meiner Therapie davon hörte. „Klar, immer ist es die Kindheit, denen fällt auch nix anderes ein“, dachte ich. Später musste ich lernen: das vermeintliche Klischee war in meinem Fall schlicht und einfach wahr.
Ich mag hier nicht allzu sehr ins Detail gehen, denn das würde eine Grenze überschreiten, die ich nicht überschreiten möchte. Nicht, weil ich der Internet-Öffentlichkeit plötzlich misstrauen würde. Sonst hätte ich alles andere in diesem Blog sicher gar nicht erst geschrieben. Sondern weil in diesem Fall andere Menschen, nämlich meine Eltern, Teil der Geschichte sind. Was ich aber öffentlich sagen kann: ich hatte eine völlig verkorkste Kindheit. Mit körperlicher und seelischer Gewalt durch den Vater. Einer Mutter, die mich beschützen wollte, aber nicht konnte und einem Zuhause, in dem ich mich selten sicher, sondern ständig bedroht fühlte.
Ein paar Schläge haben noch niemandem geschadet?
Es war nämlich mehr als nur ein paar Schläge. Es war die grausame, kraftvolle Hand, deren Finger ich an meinem Hintern spürte. Der Gürtel, der mit seiner Metallschnalle so richtig schmerzte, wenn er mich auf den Rücken traf. Es waren viele kleine Details, die ich schmerzhaft gefühlt habe. Viel mehr als das Wort „Schläge“ je ausdrücken könnte.
Vor allem aber war es die psychische Gewalt gegen mich als Kind. Der Liebesentzug, die permanenten „Du wirst versagen und alles wird im Chaos enden“-Geschichten. Das ständige Gefühl, alles falsch zu machen, ständig kritisiert zu werden und natürlich die dauernd vorhandene Angst vor der nächsten Prügel-Attacke.
„Nur ein paar Schläge“ … und viele Auswirkungen
Heute weiß ich: Misshandlungen in der Kindheit erschüttern das, was Kinder am meisten brauchen. Das absolute Vertrauen, dass Ihre Eltern hinter Ihnen stehen. Die einzig wirklich wichtigen Bezugspersonen in ihrem Leben. Wenn diese Personen emotional nicht da sind sondern – wie bei mir – Vertrauen und das Gefühl, geliebt zu sein wie man ist, durch Gewalt und Bedrohung ersetzt werden, dann war’s das. Emotionales Game over. Bei mir zumindest.
Mein Körper in ständiger Alarmstimmung
Ich war ständig auf der Hut wie ein Erdmännchen, das um sein Leben fürchtet … irgendwie muss ich das Symbolbild nebenan ja erklären…. ich wollte nicht „schon wieder“ einen „Fehler“ zu machen, der zu Schläge führte. Ich war immer leise, um nicht schon wieder angebrüllt zu werden. Ich war selten „ich“, wenn mein Vater in der Nähe war. Das ging nur, wenn ich mit meiner Mutter allein war. Sie war die Person, die wirklich wusste, wie ich bin und was ich will.
Bis ich es irgendwann nicht mehr ausgehalten und gegen meinen Vater rebelliert habe. Mit absehbaren, schmerzhaften Konsequenzen. Mein einziges Gegenmittel: meinen Vater auszulachen, während er mich mal wieder verprügelte. „Mehr fällt dir nicht ein, was? Immer nur prügeln, prügeln, prügeln“, habe ich ihm ins Gesicht geschrien. Das Ergebnis: seine Wut wurde noch größer, weil er seine eigene Hilflosigkeit gespürt hat. Die Schläge wurden ebenfalls noch schlimmer. Trotzdem hatte ich gewonnen. So zumindest mein Gefühl. Ich habe ihn an einer Stelle entblößt, über die er keine Gewalt hatte: seine eigene Hilflosigkeit gegenüber seinen Gefühlen.

Was am Ende dabei raus kommt
In meinem Fall kam dann leider im Alter von 10 – 14 Jahren auch noch eine schwere Krankheit dazu. Fast vier Jahre dauernden Krankenhausaufenthalt mit vielen schweren Operationen. Beides in Kombination hat es geschafft, mich endgültig als permanent schwach, verletzlich und wehrlos zu erleben. Das Resultat: Angst. Vor ganz vielem. Dass mir das Leben entgleiten könnte, wie mein Vater drohend prophezeit hat. Das alles ganz schlimm enden würde. Dass der kleinste Fehler zerstörerische Konsequenzen haben könnte. Ein kleiner Trigger kann dafür sorgen, dass ich katastrophisiere. Wenn, ja, wenn es mich emotional betrifft. Ein wichtiges Detail.
Das klingt, als ob man mit einer Kindheit wie meiner nicht zu einem selbstbewussten erwachsenen Menschen werden kann, gell? Falsch! Nur ist mein Selbstbewusstsein sehr selektiv. Wenn ich die Dinge im Griff habe, dann kann ich nach außen dabei erstaunlich selbstsicher wirken. Passieren Dinge, die mich in meine Kindheitserlebnisse zurück rutschen lassen, dann ist es das Gegenteil. Plötzlich bin ich wieder der kleine Junge, der Angst hat. Ich ziehe mich zurück und in meinem Gefühlen ist das Ende meiner kleinen Welt nah. Beim Aufschreiben und mit emotionaler Distanz bringt mich das zum Lachen, weil es so absurd übertrieben klingt. Ist aber leider wahr. Ich arbeite daran. Eines meiner wichtigen Ziele.
Meine Bitte
In einer Therapiesitzung habe ich es einmal auf den Punkt gebracht. Ich habe meinen Vater, längst verstorben, angeschrien: „Du Arschloch, weißt Du eigentlich, dass Du mir mein ganzes Leben versaut hast? Du hast gesagt, du willst mich beschützen, und was hast du getan? Mein ganzes Leben kaputt gemacht!!“ Ich hatte Tränen in den Augen und es fühlte sich an, als ob mein Körper beben und meine Haut kribbeln würde. Darum, liebe Eltern: bitte, bitte, gebt Euren Kindern Liebe und Rückhalt und das unerschütterliche Gefühl, Euch vertrauen zu können. Selbst wenn mal Mist passiert. Ich habe selbst keine Kinder, kann also „leicht“ reden. Und ich sehe bei Freunden, wie nervenaufreibend Kinder sein können. Und wie schwer ist, nicht auszuflippen, die Kids anzuschreien, die Hand zu erheben. Aber wollt ihr Ihnen einen verschissenen Lebensstart bereiten wie mein Vater es bei mir getan hat? Darum: Macht ihnen keine Angst, auch wenn Ihr Angst um sie habt. Ihr seid die ganz kleine große Welt Eurer Kinder. Und die muss für sie sicher sein. Wenn Ihr Ängste fühlt und meint, Eure Kinder nur durch extreme Kontrolle und Einschüchterung von dem vermeintlich Bösen in dieser Welt beschützen zu müssen, dann macht sie nicht zu den Ängsten Eurer Kinder. Das ist EURE Baustelle, nicht die Eurer Kinder.

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