Die wunderbare Welt der Angststörungen

Schlagwort: Schlafprobleme

Schlafen. Einfach nur schlafen.

Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich gerne ins Bett ging. Schlafen war schön. Am Wochenende gerne auch bis 11. Ich mochte das Gefühl, sich in einem Bett wohl zu fühlen. Es scheint wie eine Erinnerung an Tage, die sehr vorbei sind.

Denn plötzlich änderte sich meine Welt. Plötzlich hatte ich Angst. Vor meinem Bett. Vor dem Schlafzimmer. Auslöser war der Umzug meines Hauptauftraggebers, für den ich als Selbständiger damals extra in die Stadt gezogen bin, in der das Unternehmen viele Jahre seinen Sitz hatte. Der Umzug des Auftraggebers bedeutet für mich: ich wurde zum Pendler. Ungefragt. Ich fühlte mich ausgeliefert, denn ich musste es mitmachen. Oder arbeitslos werden. Also keine Option. Plötzlich lagen 50 Kilometer zwischen mir und dem Arbeitsplatz. Besonders morgens ist das eine Herausforderung. Werde ich den Wecker hören? Wird es Stau geben? Werde ich rechtzeitig vor Ort sein? Meine Ängste vor Frühschichten brachten mich um den Schlaf.

Mond
Quelle: Pixabay / Peter Dargatz

Selbsterfüllende Prophezeiung

Das völlig „bekloppte“ beim Nicht-Einschlafen-Können ist: je mehr Angst ich davor habe, dass es „wieder“ passieren könnte, desto aufgeregter wurde ich und desto schlechter konnte ich wirklich einschlafen. Da zeigt sich die Angststörung von ihrer wirklich absurden Seite. Allein der Gedanke, etwas könnte passieren, lässt es dann wirklich passieren. Und das auch immer häufiger. Zum Schluss ging es nicht mehr nur um Frühschichten. Jede Nacht, wirklich jede, wurde zur Herausforderung. Viele davon habe ich zum Schluss weinend auf dem Sofa verbracht. So aufgewühlt war ich vor Ärger, mal wieder nicht schlafen zu können. 

Das Sofa war mein letztes Refugium, auf dem Schlafen noch ein bisschen funktionierte. Selbst wenn es nur zwei, drei Stunden waren. Manchmal war meine Welt so absurd, dass ich nach einer Stunde verzweifelten „ich möchte durch nur schlafen“-Weinens heulend aus dem Bett aufstand, mich aufs Sofa legte und dort innerhalb von zwei Minuten eingeschlafen war. Und mit Rückschmerzen aufwachte, denn Sofas eignen sich nicht wirklich für entspannte Nächte. In meinem Kopf hatten sich „bekloppte“ Dinge verknüpft. Bett bedeutete Panik, Angst, Ärger, Schlaflosigkeit. Sofa bedeutete Hoffnung, Rettung, Rückzugsort. Es ging also gar nicht darum, dass ich unter einer „echten Insomnie“ litt, sondern es ging zum großen Teil um die Bewertung des Ortes „Bett“. Und um die Bewertung der Tatsache „Einschlafstörung“.

Denn die machte mich verzweifelt und aggressiv. Wie oft hätte ich mitten in der Nacht am liebsten die halbe Wohnungseinrichtung zerlegt, um meine Aggression gegen meine Schlafstörungen irgendwie los zu werden. So oft habe ich gedacht, dass es gut ist,d dass ich nicht dazu neige, mich selbst zu verletzen. Dann hätte ich es nämlich in solchen Nächten getan. „Schlafen, ich will nur schlafen. Ich will mein altes Leben zurück. Warum passiert mir so eine Scheiße? Das wird immer so weiter gehen und ich werde aus dem Leben kippen!“, waren meine Gedanken. Statt darin etwas positives zu sehen. Ja, ich hätte gern geschlafen. Das wäre meine erste Wahl gewesen. Aber ich hätte auch denken können: „ok, geht jetzt nicht, aber cool, dann hast du jetzt Zeit, noch den Papierkram fertig zu machen. Oder eine Folge der Lieblingsserie zu sehen. Oder noch eben die Wäsche zu bügeln. Oder per Kopfhörer Keyboard zu spielen, was sich doch immer so gut anfühlte“. Das alles fiel mir aber nicht ein. So fixiert war ich auf meine Verzweiflung.

Faust schlägt durch Glasscheibe
Quelle: Pixabay / Wendy Corniquet

Was ich geschafft habe und was nicht

Noch immer bin ich auf dem Weg zur einer Lösung. Derzeit läuft es zwar ganz gut, aber ich traue dem Braten noch nicht. Zu intensiv waren die Erfahrungen in verzweifelten Nächten. Das hat sich eingebrannt und Spuren hinterlassen. Zur Wahrheit gehört, dass ich in Absprache mit meinem Psychiater die abendliche Dosis meines Antidepressivums erhöht habe. Ob das aber wirklich das Ausschlaggebende war? Immerhin habe ich in größter Wut und Verzweiflung schon so starke Gefühle produziert, die sämtliche Tabletten wirkungslos haben werden lassen. Ich glaubte also gar nicht mehr so recht an die Wirkung der Medikamente. Verantwortlich dafür, dass das mit dem Schlafen derzeit wieder einigermaßen klappt, scheint mir vor allem, dass ich zwei gute Nächte hintereinander hatte. Und das hat offenbar gereicht, mir so viel Mut zu machen, dass das „verdammte Schlafen“ plötzlich wieder klappte. Und dabei habe ich gelernt: total „bekloppt“ ist, was das Gehirn mit mir macht. Scheinbar geht es nämlich nicht nur um Fakten, sondern auch ganz viel um deren Bewertung. „Denke Gutes und es wird Gutes passieren“, klingt mir viel zu klischeehaft. Aber ein bisschen was Wahres scheint daran zu sein. Auch wenn das mit dem Gutes denken oft schnell gesagt ist, aber sehr lange braucht, bis es klappt. Irgendwie darf man nicht aufgeben. Trotz aller Entnervung immer weiter machen. Das kostet Kraft. Verdammt viel Kraft.

Gut und böse, mutig und ängstlich

„Der Sascha, der ist ein witziger Typ“, höre ich oft. Von Freunden oder Arbeitskollegen oder Menschen, die mich nur kurz kennen lernen. Ich kann ein Strahlemann sein und ein Mensch, der auch in schwierigen Situationen mit scheinbarer Gelassenheit eine Lösung findet. Nach außen wirkt das dann wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung, der scheinbar die Ruhe behält, wenn die See um mich herum wild tobt.

Mann mit Hut macht lustiges Gesicht
Quelle: Pixabay / Ryan McGuire

Wie kannst Du unter einer Angststörung leiden?

Wie aber passt das zu meiner Angststörung? Verheimliche ich also allen da draußen etwas? Spiele ich ihnen nur etwas vor und all das, was Außenstehende von mir sehen, ist nur ein wunderbares, über Jahre einstudiertes Theaterstück namens „Der fröhliche Typ von nebenan“? Das wäre einfach, denn die Erklärung ist komplizierter.

In der Tat gibt es bei einem Angstpatienten wie mir beide Seiten. Da sind die Tage, an denen ich genau so bin, wie mich andere oft zur Kenntnis nehmen. Dazu braucht meine Seele keine Schminke, keine auswendig gelernten Texte und es ist auch kein gewaltiger Maskenball. Ich bin echt, ehrlich und gut gelaunt mit einem Hang zum absurden Optimismus. Dann bin ich Luke Skywalker, der mutige Yedi, der auch den Kampf allein gegen das Böse nicht scheut.

Die dunkle Seite der Macht

Und dann gibt es Tage oder Phasen oder Stunden, in denen bin ich Darth Vader. Die dunkle Seite. Beherrscht von meiner Störung. Wenn die Angst gerade mal wieder rein kickt und ich hilflos bin. Wenn mein analytisches Denken gerade mal wieder vor die Wand läuft und mein Kopf den nächsten Horrorfilm im Streaming-Portal „Saschas schönste Ängste“ ausgewählt hat. Auch das bin ich. Die andere Seite von mir. Nein, ich leider nicht unter eine multiplen Persönlichkeit. Meine Seele hat einfach verschiedene Anteile. Mal gewinnt die eine, mal die andere. Wie bei uns allen, die wir vor manchen Dingen Angst haben und vor anderen nicht. Der Unterschied bei mir: manchmal ist mir nicht klar, wer hier gerade auf die Bühne getreten ist und warum gerade er ausgerechnet jetzt seinen Auftritt hat.

Spielzeugfigur Darth Vader
Quelle: Pixabay / Erika Wittlieb

Der Angstpatient - der unzuverlässige Typ?

Das Tolle an mir ist: ich habe all das inzwischen professionalisiert. Ich habe meinen Weg gefunden, damit umzugehen. Zumindest nach außen. Im Job merken das nur Menschen, die mich sehr lange kennen. Der Rest erlebt mich einfach als jemand, der alles perfekt unter Kontrolle hat. Lösung A, B und C hab ich immer gleich in der Tasche. Eine Strategie, um mich zu schützen. Um mich selbst zu beruhigen, dass auch in einer Angstphase nichts schief geht. Arbeitgeber finden so was sicher klasse, denn auch wenn Außenstehende meinen könnten, ich könnte ja „jederzeit austicken“ ist das Gegenteil der Fall: Ich habe mir Methoden geschaffen, maximal zuverlässig zu sein. Wie es meiner Seele in solchen Phasen geht, spielt im Job ja keine Rolle. Was ich sogar – erstaunlich und vielleicht nur meine ganz eigene Sicht der Dinge – verstehen kann. Wenn jeder in einem Betrieb seine Befindlichkeiten thematisieren würde, gäbe es vermutlich sogar große Probleme, sich ums Tagesgeschäft zu kümmern und der Laden wäre eine große Therapiegruppe. Für mich aber war genau das der Grund, mich um mich selbst zu kümmern. Und Profis zu suchen, die mir helfen. Weil „einfach mal drüber reden“ nicht mehr gereicht hat.

Ich habe Angst!

Das klingt so locker. So alltäglich. So, als ob es nichts wäre, was man irgendwie besonders erwähnen müsste. Angst haben wir schließlich alle. Vor der Achterbahn, vor Spinnen, vor der nächsten Flugreise. Dass meine Angst anders ist, musste ich mühsam lernen. Meine Angst ist weit entfernt von dem, was Psychologen als „normalpsychologische Reaktion“ beschreiben. Also Reaktionen unserer Psyche auf auf ein Ereignis oder einen Reiz, die man „normal“, sprich: bei den meisten Menschen auftretend, nennen könnte.

Quelle: Pixabay / wokandpix

Warum groß darüber reden?

Die üblichen Ängste sind ganz normal bei uns allen. Sie sollen uns schützen und – so abgedroschen dieses Bild sein mag – sind ein Überbleibsel aus unserer Zeit, als wir uns vor Säbelzahn-Tigern in Sicherheit bringen mussten. Wenn Adrenalin in den Körper kickt, sich Muskeln anspannen, wir einen Tunnelblick entwickeln, wir anfangen zu schwitzen, dann macht sich unser Körper fluchtbereit, damit wir dem Tiger nicht als Abendessen dienen. Dass es keine Säbelzahn-Tiger mehr gibt hat unsere Körper- und Seelenkonstruktion irgendwie noch nicht so richtig verstanden.

Meine Angst ist kaum greifbar und immer wieder neu

Meine Angst hingegen sucht sich immer wieder neue, absurde Spielfelder. Mal ist es die Angst davor, Magenkrebs zu haben, weil mein Vater daran gestorben ist. Mal meine ich, irgendwelchen absurden Kribbelgefühle in meiner Brust zu spüren und renne zum Arzt, um mich durchchecken und von Physiotherapeuten, Osteopathen und Neurologen behandeln und weiter untersuchen zu lassen.

Dann entdecke ich plötzlich Herzrhythmus-Störungen, die sogar messbar sind. 14 Tage Krankenhaus und die private Krankenversicherung geben alles. Und finden: nichts. Oder besser: Nichts körperliches. Denn Angst hat, dessen Herz kann wirklich Herzrhythmusstörungen produzieren. Messbar, wenn auch ohne körperlichen Grund. „Funktionale Rhythmusstörungen“ heisst das dann.

Dann entwickele ich plötzlich Angst davor, nicht schlafen zu können und der bloße Anblick meines Bettes löst bei mir Fluchtreaktionen aus. Schweiß, erhöhte Herzfrequenz, rasende Gedanken. Eine besonders wunderbare Spielart meiner Angst, denn wer Angst hat, schläft mit Sicherheit nicht ein. Selbst erfüllende Prophezeiung von einer Seite, die so absurd ist, dass es zum Lachen wäre, wenn ich nur darüber lachen könnte.

Dabei "habe" ich doch "gar nichts"

Eigentlich aber ist mit mir alles in Ordnung. Mit meinem Herzen, meiner Brust, meinem Schlaf. Eigentlich. Oder besser: ich leide an nichts körperlichem. Mein Kopf ist da ganz anderer Ansicht. Er lässt all das, was ich „nicht habe“, real werden. Unsere Psyche ist ein wunderbares und mächtiges Ding. Es produziert Symptome von Dingen, die nur in unserem Kopf existieren. Für mich ist alles real, was ich gerade empfinde. Dann kann ich nicht unterscheiden zwischen „es ist wirklich“ oder „es ist nur in meinem Kopf“. Und wer könnte das schon? Gefühle sind eine große Macht in uns. Wenn tun, wenn wir ihnen nicht mehr trauen können?

Quelle: Pixabay / Myriams-Fotos

Real oder nicht?

Dieser Gedanke stellt etwas in Frage, was meine Grundfesten erschüttert hat: im Rest des Lebens sind wir uns sicher, „real“ von „irreal“ unterscheiden zu können. Für einen Menschen wir mich aber ist das bei Dingen wie zum Beispiel Körpergefühlen nicht mehr der Fall. Wie also leben mit einem Körper, dessen Psyche sich immer wieder neue Problemfelder ausdenkt, an deren Ende mir nicht mehr klar ist, ob etwas „wirklich“ existiert oder es „unwirklich“ nur in meinem Kopf entsteht. Eine Antwort? Hab ich noch nicht. Nur den Beginn einer Antwort: Ich muss akzeptieren, dass es zumindest die Möglichkeit gibt, dass es für etwas, das ich denke oder fühle keinen konkreten Anlass gibt, sondern dass gerade einfach mal wieder meine Psyche sich ein neues, lustiges Spielfeld erobert hat.

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