Lange habe ich gedacht, dass ich im negativen Sinne einzigartig bin mit meiner Angststörung. Einer, der mit seinem Leid allein ist. Einer, für den es keine Lösung gibt. Es war ein einsames Leid. Leider habe ich recht spät in meiner Leidensgeschichte erfahren, dass Angst-Attacken einem berechenbaren Muster folgen. Dass ich gar nicht so einzigartig bin wie ich gedachte habe. Für mich eine beruhigende Vorstellung. Mir persönlich hilft Wissenschaft, die mir sagt: „Bleib mal locker, du bist nur ein Fall von tausenden und was du durchmachst ist gut erforscht“.
Heftig, aber berechenbar
Jede meiner Angst-Attacken beginnt mit einem Gefühl, dass plötzlich irgendetwas nicht stimmt. Die Angst spielt ihr hässliches Spielchen mit uns. Jetzt geht es los. Als Beispiel hier einer meiner Ängste: Ein großer Raum voller Leute, es ist stickig, ich bin gut gekleidet, will aussehen wie aus dem Ei gepellt und fange an zu schwitzen. In meinem Kopf rast die Panik: Was soll ich jetzt tun? Werden andere sehen, dass sich mein Hemd langsam in einen Schweiss-Schwamm verwandelt?

Die Angst davor wie es weiter geht
In meinem Kopf katastrophisiert die faktische Feststellung „hier sind viele Leute und es ist stickig“ zu einem „ich werde peinlich aussehen“, „alle werden es sehen“, „ich mache mich lächerlich“ oder „ich werde kollabieren, weil ich es nicht mehr aushalte“. Nichts von all dem ist jemals passiert, aber mein Kopf arbeitet gerade an einem Katastrophen-Film. Das Drehbuch sagt: die Angst wird sich ins Unermessliche steigen, bis ich es nicht mehr aushalte.
Die Vermeidung
Was also tun? Raus. Bloß raus aus dem Raum. Raus aus der stickigen Luft, aus der vermeintlich drohenden Peinlichkeit, aus der unbeherrschbaren Situation. Und zack: weniger Minuten später fühle ich mich besser. Nicht, weil es draußen vielleicht weniger stickig wäre. Aber mein Körper belohnt mich mit mit einem Glücksgefühl, der Gefahr erfolgreich entronnen zu sein. Oder besser: vermeintlich erfolgreich. Denn beim nächsten Mal wird alles wieder von vorne los gehen. Mein Sieg ist also nur ein scheinbarer Sieg.
Arsch zusammenkneifen und durch

Wirklich helfen kann nur eins: Augen zu und durch. Dabei erleben Angst-Patienten wie ich zweierlei. Erstens: ja, die Angst steigt. Es wird wirklich schlimm. Aber zweitens: es wird nie so schlimm wie befürchtet. Irgendwann im Verlauf der Reaktion nimmt die Angst ab. Ein Sieg. Oder: ein halber. Denn beim nächsten Mal in einer ähnlichen Situation wird es wieder schlimm sein. Die gute Nachricht: es wird weniger schlimm als beim ersten Mal. Unsere Seele kann sich an die Angst gewöhnen. Und dann fühlt es beim dritten, vierten, fünften Mal immer weniger bedrohlich an.
Geht die Angst ganz weg?
Ob ich mich durch das fleißige und mutige Durchstehen der Angst irgendwann in großen Gruppen in großen Räumen und stickiger Luft gut fühlen werde, weiß ich nicht. Noch warte ich darauf. Ich merke aber schon: die Phasen, in denen ich mich unwohl fühle, werden seltener. Und manchmal vergesse ich sogar schon, dass meine Angst gerade jetzt eigentlich Gas geben sollte. Dann denke ich: „Wenn ihr wüsstet, welche Schwerstarbeit mein Kopf gerade leistet und dass ich es gerade mal wieder geschafft habe!“. Und dann bin ich stolz auf mich. Ganz heimlich ohne groß darüber zu reden. Mein kleiner, stiller Sieg über meine Angst.