Vierzehn Tage bin ich jetzt in selbstgewählter Isolation und weg von meinem bisherigen Leben. Die hochpräzise Zusammenfassung dieser zwei Wochen lautet: „Uff“. Das hatte ich mir anders vorgestellt. Emotional belastend, sicher. Statt dessen aber war es eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Die mich durchschüttelt bis Tränen fließen. Sprichwörtlich.
Einsam, abgeschoben, hilflos. Drei Worte, die in diesen Wochen für mich selbst viel Bedeutung bekommen haben. Ich kämpfe sehr damit, mein bisheriges Leben abzugeben. All die Routinen, die ich bisher so hatte, sind hier nicht mehr gefragt. Stattdessen gibt es plötzlich ganz viel Leere. Ich merkte, dass ich gefangen bin in meinen Ritualen, meinem Beruf, den Alltäglichkeiten. „Was erwarte ich eigentlich von meinem Leben und wie will ich, dass das weiter geht?“ ist plötzlich die wichtige Frage. Und damit verbunden: Wie konnte es passieren, dass ich zu dem wurde, was ich jetzt bin? Zwei Fragen von so großer Tiefe, dass sie mich oft weinen lassen in meinem kleinen Zimmer in der Psycho-Klinik.

Endlich Ruhe - vorerst
Der positive Teil daran: ich habe schon lange nicht mehr eine derartige Ruhe in mir gefühlt. Klingt paradox, aber es gibt eben auch zwei unterschiedliche Gefühle, die gleichzeitig wahr sein können. Normalerweise merke ich sauch wenn ich freie Tage habe oder im Urlaub bin ein seltsames Kribbeln in mir. Arme, Brust, manchmal Kopf – das Kribbelgefühl ist im Alltag fast immer da. Ich brauche dann eine große Portion Disziplin, um anderen Menschen zuzuhören und für Gespräche offen zu sein. „Die schönsten 3 Minuten eines Tages sind am Morgen, wenn das Gehirn noch nicht richtig denkt und man noch ein bisschen dösig ist“, sagte ein Mitpatient, der unter Depressionen leidet. Dieses Gefühl kenne ich. Sobald ich beginne nachzudenken, gehen die seltsamen Gefühle bei mir los. Hier in der Klinik aber sind sie plötzlich weg.
Die Sache mit der Geduld
Zwei Wochen Zeit wollte ich mir geben, um zu entscheiden, ob ich hier weiter mache. In der Hoffnung, dass zwei Wochen vielleicht schon reichen, um mich „zurück in die Spur“ zu kriegen. Ein lächerlicher Gedanke, wie ich jetzt sagen muss. Die bittere Lektion, die ich bereits gelernt habe: was man in 50 Lebensjahren eingeübt hat, lässt sich nicht mal eben in zwei Wochen verlernen. Es wird länger dauern. Viel länger vermutlich. „Monate lang raus aus dem Leben“, nenne ich das immer noch und hoffe, dass ich es irgendwann als „Monatelang die Chance, ein gutes Leben zu erreichen“ empfinden werde.
Vielleicht liegt das zögerliche Gefühl auch daran, dass ich eher sporadischen Kontakt zu „meiner Gruppe“ habe, der ich zugewiesen wurde. Derzeit sind wir zu fünft. Fünf Menschen, teils älter als ich, teils deutlich jünger, manche von ihnen mit Persönlichkeiten ausgestattet, zu denen ich nicht recht Zugang finde. Es sind fünf Menschen mit unterschiedlichen Störungsbildern. Ich gestehe: es ist der Punkt, der mich von Anfang hat skeptisch gemacht hat. „Mitpatienten sind deine wichtigsten Therapeuten“ hat eine Bekannte zu mir gesagt, die auch schon in einer Klinik zur Therapie war. Aber „die“ hier? Wie können „die“ mit helfen? Vor allem in unseren Gruppensitzungen merke ich, dass jeder von ihnen in seiner eigenen Gedankenwelt festhängt. Es ergibt sich kurz ein netter Kontakt zu einem Mitpatienten aus einer anderen Gruppe, der aber wieder abbricht. „Erwarte nicht, dass Du dort Freunde findest“, hat mir mal jemand gesagt. Ich merke, das stimmt. Es sind Zweck- und keine Herzens-Kontakte. Schade, ich vermisse Freunde. Ob die mich vielleicht aber nur von mir selbst ablenken würden? Oder meine temporäre Einsamkeit sogar gut ist?

Es wird ein langer Kampf
Letztendlich kämpft hier jeder für sich. Und doch fühle ich langsam – oder besser: ganz langsam – dass uns alle etwas verbindet. Wir alle hängen sehr in unserer Vergangenheit, in der seltsame, schlechte, traumatische Dinge passiert sind und wir alle schaffen es nur schwer, solche Gedanken gehen zu lassen und uns der Zukunft zuzuwenden. Außerdem sind viele von uns ein bisschen „empfindsamer“ als andere Menschen und damit empfänglicher für Stimmungen. Wir beobachten uns sehr stark selbst, reflektieren dies und verstärken es dadurch. Schon als Schüler habe ich das bemerkt: „Ich leide und schaue mich gleichzeitig von außen dabei zu, wie ich leide – und leide dadurch doppelt“, habe ich es damals formuliert. Ein Satz, den ich schon lange nicht mehr gedacht habe, der mir jetzt wieder einfällt und der mir den Spiegel vorhält. Hätte ich mich viel früher um mich selbst kümmern sollen statt 50 Jahre vor mich hin zu wurschteln? Schon wieder so ein Gedanke. Besser wäre: Sei froh, dass Du jetzt erkannt hast und mach das beste daraus. Ich arbeite daran.
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