Die wunderbare Welt der Angststörungen

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Die Klinik – Teil 7. Unerwartete Bewährungsprobe.

Wie soll das eigentlich weiter gehen?“ Ein Gedanke, der mich den ganzen Klinikaufenthalt lang begleitet. In der Therapie läuft es gut, ich bin der Vorzeigepatient und verstehe kognitiv genau, was mit mir passiert. An meinen Wochenenden zu Hause aber läuft es … unstabil. Die Sorge vor unruhigen Nächten und die Wut darüber, es „wieder mal nicht geschafft zu haben“ ist immer noch da. Und jetzt? Auf immer und ewig werde ich mich nicht in der Psychoklinik verschanzen können. Irgendwann muss ich wieder zurück ins „richtige Leben“. Wie soll ich das jemals schaffen? Die Antwort: Das Leben findet seinen Weg.

In meinem Fall ist dieser Weg unerwartet und heißt „Bindehautentzündung“. Weiß der Henker, woher sie kommt. Tatsache ist: es hat mich schwer erwischt. Mein linkes Auge ist rot, es tut weh und es passieren Dinge, die ich dem geneigten Leser angesichts eines möglicherweise anstehenden Mittag- oder Abendessens lieber ersparen möchte. Während ich langsam zu einem Augen-Alien mutiere beschert mir eine Untersuchung in der hiesigen Uniklinik die Erkenntnis: das, was ich da habe, könnte ansteckend sein. Und „ansteckend“ bedeutet: entweder tagelange „Augen-Quarantäne“ in meinem Einzelzimmer oder raus aus der Psychoklinik, damit andere Patienten vor meinem Viren-Debakel verschont bleiben.

Auge
Quelle: Pixabay / Tobias Dahlberg

Wie soll das klappen?

Da ist sie also, die Situation, vor der ich panische Angst habe: raus aus der Klinik. Ungeplant und überstürzt. Zumindest bis klar ist, auf welche Art von Virus mein Auge ein Auge geworfen hat. Bis dahin ohne Möglichkeit der Rückkehr in mein sicheres Refugium, in dem derzeit die Welt in Ordnung ist. Was soll ich nur tun? Wie soll ich das schaffen? Ich packe meinen Koffer in der Psychoklinik und stopfe eine gehörige Portion Panik zwischen Wäsche und Kulturtasche.

Natürlich freue ich mich, meinen Mann wieder zu sehen. Und doch bedeutet es: ich muss mich meinen Dämonen stellen. Aus therapeutischer Theorie wird ungeplant früh panische Praxis. Und die hält eine Überraschung parat: Die erste Nacht klappt erstaunlich gut. Was in meiner absurden Gedankenwelt den Druck auf die zweite Nacht leider erhöht: Wird es wieder so gut sein? Oder bleibt es ein Einzelfall? Ich bitte meinen Mann am zweiten Abend um eine meiner „Notfalltabletten“ aus alten Tagen, weil ich mich den ganzen Tag lang kribbelig fühle und ich dieses Gefühl nicht weg kriege. Wobei ich mir attestieren muss, dass ich auch nicht alle in der Klinik gelernten Möglichkeiten versuche. Egal, eine Tablette ist erlaubt. Mein Mann gibt sie mir zögerlich und ist ein wenig sauer auf mich, weil er merkt, dass ich mich hängen lasse. Trotzdem: die zweite Nacht klappt auch.

Bedrohliche Dämonen

Die dritte Nacht beginnt wieder kribbelig, doch bin ich gedanklich so bei meinem Mutanten-Auge, dass dieser Gedanke letztendlich wichtiger ist als die Sorge um meinen Schlaf. Ich brauche zwar länger zum einschlafen, aber auch dieses mal klappt es. Und Nacht Nummer 4? Ich mache vorher Entspannungsübungen, wie ich sie ohnehin „eigentlich“ jeden Tag machen will. Die Nacht ist dann kein Problem. Umdrehen. Schlafen. Und warum? Weil ich merke, dass ich aufhöre, meine Gedankenkreise um meinen Schlaf zum Dauerthema zu machen und darauf zu vertrauen, dass mein Körper es schon schaffen wird. Irgendwoher kommt die Zuversicht.

Schemenhafter Geist
Quelle: Pixabay / Stefan Keller

Eine weitere Untersuchung am darauf folgenden Tag an der Uniklinik macht klar, dass mein martialisch aussehendes Rot-Auge zwar nervig, aber nicht ansteckend ist. Ich könnte also zurück in die Psycho-Klinik. Zurück in meine sichere Welt zwischen Psycho-, Tanz- und Kunsttherapie. In die Welt also, die vor vier Tagen noch wichtig für mich war. Und von der ich vier Tage später merke, dass sie völlig unbemerkt ihre positiven Spuren in meiner Psyche hinterlassen hat.

Ein unerwartete Entscheidung

Ich fasse einen mutigen Entschluss: ja, ich gehe zurück in die Klinik. Aber nur noch für eine Woche. Um einen ordentlichen Abschluss zu finden. Um mit allen Therapeuten noch mal finale Gespräche zu führen und alles für mich zusammen zu fassen. Und während ich dies hier schreibe stelle ich fest, dass sich zwei Monate Psychoklinik auf ein paar banale Erkenntnisse reduzieren: Manche Dinge werden erst dann gut, wen Du aufhörst, sie kontrollieren zu wollen. Vertraue auf Dich und Deinen Körper. Und: erzähle nicht immer nur davon, deine Glaubenssätze ändern zu wollen, sondern sei wirklich dazu bereit.

Ein paar einfache Sätze, zu denen in Zukunft sicher noch ein paar mehr dazu kommen werden. Und doch war es ein langer Weg dorthin. Der Weg ist immer noch auf sandigem Boden gebaut und vermutlich werde ich noch viele Male kämpfen müssen, um nicht im weichen Untergrund einzusinken. Aber hey, so ist der Deal: Die Therapie in der Klinik gibt die Richtung vor. Die Landkarte schreibst Du selbst. Und gehen musst du allein.

Oder wie ein lieber Mitpatient es formuliert hat: Der Zug der dich überfährt, wird von Dir gesteuert. Von keinem anderen sonst.

Mann im Wald mit Sonnenaufgang hinter Bäumen
Quelle: Pixabay / Joe

Die Klinik – Teil 5. Hin und her.

Wer von Euch den Teil 4 gelesen hat, hat es vielleicht schon geahnt: das konnte nicht so positiv weiter gehen. Der Rückfall kommt am darauf folgenden Wochenende. Wieder habe ich große Schlaf-Probleme. So empfinde ich das zumindest. Wieder versuche ich krampfhaft, einzuschlafen und durchzuschlafen, um mich genau damit um den Schlaf zu bringen. Wieder funktioniert nichts von dem, was ich in der Klinik dachte, gelernt zu haben.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag soll ich mich zu Hause wieder „paradox“ verhalten und versuchen, auf keinen Fall zu schlafen. Doch statt dies mit einem Lächeln als Herausforderung zu sehen, liege in der Nacht und ärgere mich. Die Stille schreit mich an und das Dunkel ist so hell, dass selbst verschlossene Augen nichts ausrichten können. Mein alter Gedanke ist wieder da: „Ich will doch einfach nur schlafen“. Ein Gedanke, so naiv wie falsch und vor allem ein Gedanke vom Beginn meiner Therapie. Schon wieder ist mein Leidensdruck so groß, dass ich vergesse, dass „Schlafprobleme“ nur das Symptom ist, aber nicht die Ursache. Trotzdem mache ich lehrbuchartig alle Fehler, die man als Patient so machen kann. Als ob ich nichts dazu gelernt hätte. Alles wieder zurück auf Anfang, so fühlt sich das an. Nach fast zwei Monaten Therapie.

Mann mit Schirm im Regen
Quelle: Pixabay / Pexels

Soll ich aufgeben?

Am Sonntag Morgen habe ich zwar einige Stunden auf der Schlaf-Uhr zusammen bekommen, aber ich fühle mich verzweifelt: das bringt doch alles nichts, das macht alles keinen Sinn, ich lerne da überhaupt nichts, mir kann niemand helfen. All das sind Sätze, die wie scheue Rehe in meinem Kopf hin und her springen. Eine ganze Herde davon. Unkontrollierbar. Oder wo wir gerade bei mehr oder minder guten Metaphern sind: wie ein riesiges Gewitter mit lautem Regen und Hagel und niemals enden wollenden Blitzen. Der Wind peitscht mir ins Gesicht, in bin tropfnass und kann vor lauter Regen nichts mehr erkennen. Nicht den Weg, den ich schon zurück gelegt habe, nicht das Ziel, auf das ich zusteuere. Kopf-Chaos. Am liebsten würde ich alles hinwerfen. Der kleine Erfolg vom Wochenende vorher hat sich irgendwo unter dem Bett verkrochen und ist unauffindbar.

All das ist in den darauf folgenden Tagen ein wichtiges Thema in der Klinik. Denn es kommt noch schlimmer: in der Nacht nach dem Wochenende daheim schlafe ich plötzlich auch in der Klinik schlecht. Der Ort, der in den letzten Wochen mein Rettungsanker war, weil ich hier immer gut ein- und durchschlafen konnte. „Jetzt geht das hier auch noch los“, denke ich und katastrophisiere: „Ich werde nie mehr einen Ort finden, wo ich schlafen kann und mein Leben wird den Bach runter gehen“. 

Das macht doch alles keinen Sinn!?

Ich fühle mich von den Therapeuten unverstanden und in diesem „Laden“ völlig fehl am Platz. „Ja, ist ja schön, dass wir an den Ursachen im Hintergrund arbeiten, aber wenn sich das vordergründige Symptom nicht langsam verbessert, drehe ich durch“. Ich schnauze den Klinik-Leiter an, beschwere mich, fühle mich nicht ernst genommen, entschuldige mich anschließend für die – für meine Verhältnisse – rüde Wortwahl. Ich ahne, dass die Mitarbeiter in einer Klinik damit umgehen können, denn sie zeigen einen Persönlichkeitsanteil, der für die Therapie noch wichtig werden könnte: Ich bin sehr unversöhnlich mit mir, glaube mir nichts, rechne – wie mein Vater – „immer“ damit, dass „alles“ im Chaos enden wird. Unterm Strich: Ich habe kein Vertrauen. Nicht in mich, nicht in die Klinik, nicht in andere Menschen, nicht in mein Leben.

Gewitterwolken mit Blitzen
Quelle: Pixabay / WikimediaImages

Dabei wollte ich doch in zwei Wochen die Klinik verlassen. Ich bin riesig enttäuscht von mir selbst. Mutlos. Traurig. Aber zumindest belehrbar: Mitglieder aus meiner Therapiegruppe überzeugen mich, dass es keinen Sinn macht, auf Biegen und Brechen eine Therapie zu beenden, nur weil man es mal so geplant hatte. Ich verlängere meinen Aufenthalt. Ein weiterer Monat. Und bin von mir selbst enttäuscht, „es“ nicht schneller geschafft zu haben. Therapie kostet viel Geduld.

Hoffnung, Enttäuschung, Hoffnung

An diesem Punkt könnte ich aufhören zu schreiben und es wäre eine traurige Geschichte. Aber das Leben ist eben anders und so ergibt sich nur einen Tag später eine Überraschung. Einer meiner Therapeuten erzählt mir davon, dass er früher selbst mal große Schlafprobleme hatte, als sein Leben in einer schwierigen beruflichen Phase war. Ihm habe es geholfen, sich folgendes vorzustellen, wenn er im Bett liegt:

„Super, dass ich jetzt hier liegen kann. Das Bett ist sooo gemütlich und die Bettdecke ist sooo kuschelig. Man, ich fühle mich hier gerade richtig wohl. So wie in einer Kuschel-Höhle. Ich darf hier einfach so entspannt liegen, muss gar nichts leisten, wenn ich will kann ich einfach lesen oder ein Hörspiel hören und mich einfach wohl fühlen. Ausstrecken, gähnen, die Gemütlichkeit genießen.“

 

Fast muss ich weinen, als ich das hier aufschreibe, denn es trifft genau das, was ich gerne wieder für ein Bett empfinden möchte. Statt Angst vor der nächsten Nacht.

Mann im Wald mit Sonnenaufgang hinter Bäumen
Quelle: Pixabay / Joe

Wie finde ich wieder Vertrauen in mich?

Ich probiere es aus. Es tut keine Wunder und ich brauche eine halbe Stunde, damit es wirkt. Aber ich merke, wie mir wohlig warm wird. Und ich mich richtig gut fühle. Ich schlafe ein und durch, bis der Wecker klingelt. Das klingt so einfach, dass es lächerlich wirkt. Ein paar Worte sollen die Lösung für mein jahrelanges Schlafproblem sein? Natürlich nicht. Denn  diese wenigen Worte sind das Ergebnis eines langen Prozesses und für mich viel mehr als nur ein paar einfache Worte. Ich habe an mir selbst erlebt, wie diese Worte entstanden sind, die Hoffnungen und die Verzweiflung beobachtet und der Wunsch, endlich eine Lösung zu finden. „Moooooment, das wollen wir erst mal abwarten“, denke ich skeptisch. Zu viel schlimmes habe ich in letzter Zeit erlebt. Und in der Tat laufen psychische Prozesse nicht linear, wie ich inzwischen weiß. Aber jeder kleine Erfolg ist ein Erfolg. Jeder gute Tag ist ein Tag für meine „Gute Tage-Liste“. Geduld! Das schwierige Wort für mich. Ich werde sehen, wie es weiter geht.

Die Klinik – Teil 3. Kein Fortschritt?

Die ersten zwei Wochen waren heftig. Aber es sollte noch heftiger kommen. Ich darf das erste Wochenende zu Hause verbringen. „Endlich“, denke ich. Und gleichzeitig macht es mir große Angst. Zu Hause sein heißt auch zu Hause schlafen zu müssen. In dem Bett, in der Wohnung die mir zuletzt so große Probleme bereitet hat. Ein Gedanke, der sich schnell bei mir fest frisst und mich unerwartet in die nächste große Krise stürzt.

Zu Hause, zurück in die gewohnte Umgebung. Ich habe mich sehr gefreut, meinen Mann wieder zu sehen. Natürlich haben wir jeden Tag Kontakt, machen Videocalls und chatten zwischendurch. Aber fürs Ankommen in einer Klinik ist wichtig, dass man den Kontakt „nach Hause“ reduziert. Für mich ist das nicht nicht einfach. Auch nach fast 12 Jahren Beziehung sind wir immer noch froh, uns zu sehen und reden gern miteinander.

Hoffnung. Enttäuschung. Nah beieinander.

Jetzt also zurück fürs Wochenende. „Belastungserprobung“ nennen das die Mediziner hier. Ich fand das Wort lächerlich. Warum nennen sie das nicht einfach „Freizeit“ oder „Wochenende“ sondern machen da so einen medizinischen Hokuspokus raus? Aber schnell sollte ich lernen, dass es genau den Punkt trifft. Es ist nämlich in der Tat „belastend“.

 

Der Samstag beginnt, als ob er Alltag wäre. Oder zumindest die Simulation von Alltag. Mein Mann und ich hatten vorher besprochen, dass wir bewusst auf romantische, sehr emotionale Dinge verzichten wollen, damit mir der Abschied am Sonntag nicht so schwer fallen würde und meine Anpassungsprobleme in der Klinik wieder los gehen. Also probieren wir die Inszenierung von Pseudo-Alltäglichkeit. Ich gehe zum Bäcker, kaufe Brötchen und Kuchen und fahre weiter nach Hause. Mein Mann liegt noch im Bett. Die Woche war anstrengend für ihn. Ich wecke ihn und sehe mein Alptraum-Bett wieder. Ganz ohne Alptraum diesmal. Matratze, Laken und Bettdecke zu sehen fühlt sich gut an. Oder zumindest neutral. Aber noch ist es Tag und nicht Nacht. Noch muss ich mir nicht beweisen, dass ich hier schlafen kann.

Drei Schlüssel mit Schlüsselanhänger in Form eines Hauses
Quelle: Freepik / Rawpixel.com

Plötzlich geht es los

Das ändert sich gegen 17 Uhr. Beim Vorbeilaufen am Schlafzimmer kommt mir plötzlich dieser eine kurze Gedanke. „Noch 5 Stunden, dann schauen wir mal, ob das mit dem Schlafen klappt“. Ein Gedanke, der sich fest frisst. Dem ich dabei zusehen kann, wie er sich einbohrt in meine Gedanken und alle positiven Gefühle mit sich in die Tiefe reißt. Für Außenstehende mag dies fast lächerlich klingen. Für mich ist es die pure Angst. Ich versuche es zu überspielen, mich selbst zu beruhigen. Es klappt. Vorerst.

Doch dann kommt, was kommen musste: Die Nacht ist da. Ich lege mich ins Bett und alle negativen Gefühle sind wieder da. Mit Wucht. Mit Schwitzen, Zittern, Wut und großer Angst. „Scheisse, scheisse, scheisse“ schreie ich in mein Kissen. Ich bitte meinen Mann, mir diesmal nicht zu helfen. Ich will es allein schaffen, mit den Techniken, die ich in der Klinik gelernt habe. Mit der super anstrengenden Stresshocke, die mich aus meinem Panikgefühl raus holen soll. Mit super saurem Zitronensaft, der ebenfalls meine Gedankenkreise unterbrechen soll. Mit dem, was ich mir sorgfältig nach jeder Therapiesitzung aufgeschrieben habe. Es wirkt … nicht. Aus purer Verzweiflung schreibe ich einem Mitpatienten, dessen Handynummer ich habe. Mitten in der Nacht gibt er mir Tipps, wie ich mich verhalten soll. Mir helfen die Worte „Lass sich auf die Angst ein, lass sie kommen, sie tut weh, aber sie wird vorbei gehen“. Irgendwann schlafe ich ein.

Schemenhafter Geist im Alptraum
Quelle: Pixabay / Stefan Keller

Morgens fühle ich mich wie zerschlagen. Nicht, weil ich zu wenig geschlafen habe. Ich habe genug Stunden auf der Schlaf-Uhr zusammen bekommen. Vielmehr ist es die Enttäuschung über mich selbst, über die Klinik, die es nicht geschafft hat, mir ausreichende Methoden an die Hand zu geben. Dass ich dieses Mal nicht vom Bett aufs Sofa geflüchtet bin, dass ich nicht komplett durchgedreht bin, dass ich zumindest angefangen habe die Anti-Stress-Methoden anzuwenden statt nur zu weinen – das könnte ich mir als erste gute Entwicklungen auf meine Positiv-Liste schreiben. Tue ich aber nicht. „Ich habe versagt und es wieder nicht hinbekommen“, ist das einzige, was mir einfällt. Da kann mein Mann mit Engelszungen und einer schon Monate andauernden Geduld auf mich einreden – ich fühle mich nur schlecht.

Macht das alles Sinn?

Ich kürze ab: auch das Wochenende danach wird genau so wie das erste. Tagsüber ist alles gut. Die Dämonen kommen nachts. Gut, an diesem Wochenende ist es heiß in Deutschland und vermutlich fällt vielen das Einschlafen schwer. Ich nicke erst ein, wache eine halbe Stunde später wieder auf und kann dann nur noch schwer zurück finden in den Schlaf, den ich mir so sehnlich wünsche. Ich habe das Gefühl, dass es mir wieder entgleitet. Ich habe es nicht unter Kontrolle, es macht mir mir, was es will. Ich bin nur Zuschauer dessen, was passiert. Machtlos. Schon wieder. Trotz Stresshocke und Zitronensaft und dem Versuch, meine Gedanken wie gelernt zu kontrollieren.

Ich mache in der Klinik keine Fortschritte, vielleicht sogar Rückschritte“, kommt mir in den Kopf. Abbrechen? Macht das alles Sinn? Wie lange soll das noch so weiter gehen? Bin ich jetzt monatelang in der Klinik? Was wird aus meinem Job? Ich renne schon wieder komplett katastrophisierend ins Kopf-Chaos. Bloß weg aus der Wohnung, weg von der Enttäuschung, leider auch weg von meinem Mann – ich fahre zurück in die Klinik. Eine Mitarbeiterin fragt: „Und, wie war das Wochenende?“ Das ist zu viel. Ich rette mich ins Zimmer und heule. Eine gefühlte Großpackung Taschentücher geht dabei drauf. „Belastungserprobung“ – das trifft es wirklich.

Regentropfen auf Fensterscheibe
Quelle: Freepik / Wirestock

Die Klinik – Teil 2. Allein mit den Gedanken.

Vierzehn Tage bin ich jetzt in selbstgewählter Isolation und weg von meinem bisherigen Leben. Die hochpräzise Zusammenfassung dieser zwei Wochen lautet: „Uff“. Das hatte ich mir anders vorgestellt. Emotional belastend, sicher. Statt dessen aber war es eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Die mich durchschüttelt bis Tränen fließen. Sprichwörtlich.

Einsam, abgeschoben, hilflos. Drei Worte, die in diesen Wochen für mich selbst viel Bedeutung bekommen haben. Ich kämpfe sehr damit, mein bisheriges Leben abzugeben. All die Routinen, die ich bisher so hatte, sind hier nicht mehr gefragt. Stattdessen gibt es plötzlich ganz viel Leere. Ich merkte, dass ich gefangen bin in meinen Ritualen, meinem Beruf, den Alltäglichkeiten. „Was erwarte ich eigentlich von meinem Leben und wie will ich, dass das weiter geht?“ ist plötzlich die wichtige Frage. Und damit verbunden: Wie konnte es passieren, dass ich zu dem wurde, was ich jetzt bin? Zwei Fragen von so großer Tiefe, dass sie mich oft weinen lassen in meinem kleinen Zimmer in der Psycho-Klinik.

Mann in der Nacht allein auf Parkbank
Quelle: Pixabay / Pexels

Endlich Ruhe - vorerst

Der positive Teil daran: ich habe schon lange nicht mehr eine derartige Ruhe in mir gefühlt. Klingt paradox, aber es gibt eben auch zwei unterschiedliche Gefühle, die gleichzeitig wahr sein können. Normalerweise merke ich sauch wenn ich freie Tage habe oder im Urlaub bin ein seltsames Kribbeln in mir. Arme, Brust, manchmal Kopf – das Kribbelgefühl ist im Alltag fast immer da. Ich brauche dann eine große Portion Disziplin, um anderen Menschen zuzuhören und für Gespräche offen zu sein. „Die schönsten 3 Minuten eines Tages sind am Morgen, wenn das Gehirn noch nicht richtig denkt und man noch ein bisschen dösig ist“, sagte ein Mitpatient, der unter Depressionen leidet. Dieses Gefühl kenne ich. Sobald ich beginne nachzudenken, gehen die seltsamen Gefühle bei mir los. Hier in der Klinik aber sind sie plötzlich weg.

 

Die Sache mit der Geduld

Zwei Wochen Zeit wollte ich mir geben, um zu entscheiden, ob ich hier weiter mache. In der Hoffnung, dass zwei Wochen vielleicht schon reichen, um mich „zurück in die Spur“ zu kriegen. Ein lächerlicher Gedanke, wie ich jetzt sagen muss. Die bittere Lektion, die ich bereits gelernt habe: was man in 50 Lebensjahren eingeübt hat, lässt sich nicht mal eben in zwei Wochen verlernen. Es wird länger dauern. Viel länger vermutlich. „Monate lang raus aus dem Leben“, nenne ich das immer noch und hoffe, dass ich es irgendwann als „Monatelang die Chance, ein gutes Leben zu erreichen“ empfinden werde.

 

Vielleicht liegt das zögerliche Gefühl auch daran, dass ich eher sporadischen Kontakt zu „meiner Gruppe“ habe, der ich zugewiesen wurde. Derzeit sind wir zu fünft. Fünf Menschen, teils älter als ich, teils deutlich jünger, manche von ihnen mit Persönlichkeiten ausgestattet, zu denen ich nicht recht Zugang finde. Es sind fünf Menschen mit unterschiedlichen Störungsbildern. Ich gestehe: es ist der Punkt, der mich von Anfang hat skeptisch gemacht hat. „Mitpatienten sind deine wichtigsten Therapeuten“ hat eine Bekannte zu mir gesagt, die auch schon in einer Klinik zur Therapie war. Aber „die“ hier? Wie können „die“ mit helfen? Vor allem in unseren Gruppensitzungen merke ich, dass jeder von ihnen in seiner eigenen Gedankenwelt festhängt. Es ergibt sich kurz ein netter Kontakt zu einem Mitpatienten aus einer anderen Gruppe, der aber wieder abbricht. „Erwarte nicht, dass Du dort Freunde findest“, hat mir mal jemand gesagt. Ich merke, das stimmt. Es sind Zweck- und keine Herzens-Kontakte. Schade, ich vermisse Freunde. Ob die mich vielleicht aber nur von mir selbst ablenken würden? Oder meine temporäre Einsamkeit sogar gut ist?

Stuhl steht in einem weiten See
Quelle: Freepik / Wirestock

Es wird ein langer Kampf

Letztendlich kämpft hier jeder für sich. Und doch fühle ich langsam – oder besser: ganz langsam – dass uns alle etwas verbindet. Wir alle hängen sehr in unserer Vergangenheit, in der seltsame, schlechte, traumatische Dinge passiert sind und wir alle schaffen es nur schwer, solche Gedanken gehen zu lassen und uns der Zukunft zuzuwenden. Außerdem sind viele von uns ein bisschen „empfindsamer“ als andere Menschen und damit empfänglicher für Stimmungen. Wir beobachten uns sehr stark selbst, reflektieren dies und verstärken es dadurch. Schon als Schüler habe ich das bemerkt: „Ich leide und schaue mich gleichzeitig von außen dabei zu, wie ich leide – und leide dadurch doppelt“, habe ich es damals formuliert. Ein Satz, den ich schon lange nicht mehr gedacht habe, der mir jetzt wieder einfällt und der mir den Spiegel vorhält. Hätte ich mich viel früher um mich selbst kümmern sollen statt 50 Jahre vor mich hin zu wurschteln? Schon wieder so ein Gedanke. Besser wäre: Sei froh, dass Du jetzt erkannt hast und mach das beste daraus. Ich arbeite daran.

Die Klinik – Teil 1. Ankommen.

Es fühlt sich absurd an. Tür auf, Corona-Test machen, Zimmer beziehen. Und dann ist man plötzlich „drin“. In einer Klinik für psychosomatische Medizin, also für Patienten, deren seelische Probleme (Psycho…) sich auch körperlich (…somatisch) äußern. Genau wie bei mir: Was sich in meinem Kopf abspielt, produziert bei mir allerlei Krankheitssymptome und bringt mich sprichwörtlich um den Schlaf.

Die Klinik soll mir also weiter helfen. Und doch fühlt es sich absurd an, hier zu sein. In der „Klapse“. Das Wort ist abwertend und zudem noch falsch, denn das hier ist keine geschlossene Station für Menschen, die gefährlich für sich und für andere sind, sondern für Menschen wie mich. Die „minder schweren Fälle“. Das klingt niedlich, doch wenn mein Fall „minder schwer“ ist, dann will ich „richtig schwer“ gar nicht kennen lernen. So viel habe ich geweint, gelitten und war verzweifelt in den vergangenen Monaten. „Minder schwer“ fühlt sich das alles nicht an.

Die erste Nacht ist schrecklich. Neue Umgebung, unbekannte Gerüche und Geräusche, ein Krankenhaus für Psychos wie mich. Ich habe Schuldgefühle und spüre Scham, hier gelandet zu sein. Und trotzdem kann ich in der ersten Nacht erstaunlich gut schlafen. Besser als zu Hause in dem Bett, in dem ich so viele schwierige Nächte voller Verzweiflung erlebt habe. Eine unbelastet Umgebung – aber auch der Gedanke: schön und gut, aber was nützt mir das? Ich will doch wieder nach Hause und dort ebenfalls gut schlafen können. Später werde ich lernen: das hatte ich mir alles viel zu leicht vorgestellt.

Ich bekomme einen Wochenplan. Einzeltherapie, Gruppentherapie, Bewegungstherapie, Tanztherapie, Kunsttherapie. Das klingt genau so, wie ich es mir im Klischee vorgestellt habe. Nur diesmal bin ich selbst mittendrin. Und fühle mich lächerlich vor mir selbst. Da bin ich also. Gelandet in der Psycho-Mühle. Es folgen erste Gespräche mit meinen Therapeuten. Körperliche und seelische Untersuchungen. Und – nervig – alles, was ich vorher einer ambulanten Therapeutin ausführlich erzählt hatte, muss ich hier noch mal durchkauen. Anstrengend. Schnell wird mir klar: das hier ist kein „Sanatorium“ aus Filmen, in denen sich betuchte Damen und Herren gepflegt vom Stress des Lebens erholten und deren größte Anstrengung Maniküre und Pediküre sind. Das hier ist Arbeit. Mit einem strengen Zeitplan. Frühstück bis 8:10 Uhr (warum ..“10“ werde ich wohl nie verstehen). Also früh raus aus dem Bett. Lange rumlungern gibt’s nicht.

Gefaltete Hände in Nahaufnahme, Therapiesitzung
Quelle: Freepic / 1m Ressourcen

Ich habe große Probleme, hier gedanklich und emotional anzukommen. Die Klinik ist und in der gleichen Stadt wie mein  Zuhause. Das klingt toll und praktisch, ist es aber am Anfang nicht. Gedanklich bin ich oft zu Hause, „dort drüben“, in meinem „alten Leben“. Ganz nah und trotzdem unerreichbar. Eine gewollte Entscheidung. Und trotzdem schwierig. Ich bin oft traurig in den ersten Tagen. Allerdings: Klinikplätze sind anders als Hotelzimmer. Wenn man einen kriegt, dann greift man zu und freut sich. Also muss ich irgendwie damit klar kommen. Sagt sich so leicht, ist es nicht. Zwei Wochen brauche ich, bis mein Kopf und mein Gefühl endlich „hier“ waren. Wie das wohl alles weiter geht?

Die Klinik

Es war eine bedrückende und befreiende Erkenntnis zugleich: es geht nicht mehr. Nicht mehr allein. Ich brauche Hilfe. Mehr, als ich bei einem wöchentlichen Besuch bei einer Psychologin bekommen konnte. Ich brauchte einen stationären Aufenthalt in einer Klinik. Mit diesem Eingeständnis war endlich klar, was ich lange vor mir versteckt hatte: ich schaffe es einfach nicht allein. Hier beschreibe ich, was ich dort erlebt habe und derzeit noch erlebe. Der Name der Klinik bleibt unerwähnt. Die Fotos sind nur Symbolfotos. 

Weisser, heller Eingangsbereich eines Krankenhausgebäudes
Quelle: Freepic / topntp26

Verkorkste Kindheit

Es klingt genau nach dem Klischee, das man bei Psychotherapeuten erwartet: Der Auslöser von allerlei „Knoten im Kopf“ ist oft die Kindheit, heißt es. Darum war ich sehr skeptisch, als ich in meiner Therapie davon hörte. „Klar, immer ist es die Kindheit, denen fällt auch nix anderes ein“, dachte ich. Später musste ich lernen: das vermeintliche Klischee war in meinem Fall schlicht und einfach wahr.

Ich mag hier nicht allzu sehr ins Detail gehen, denn das würde eine Grenze überschreiten, die ich nicht überschreiten möchte. Nicht, weil ich der Internet-Öffentlichkeit plötzlich misstrauen würde. Sonst hätte ich alles andere in diesem Blog sicher gar nicht erst geschrieben. Sondern weil in diesem Fall andere Menschen, nämlich meine Eltern, Teil der Geschichte sind. Was ich aber öffentlich sagen kann: ich hatte eine völlig verkorkste Kindheit. Mit körperlicher und seelischer Gewalt durch den Vater. Einer Mutter, die mich beschützen wollte, aber nicht konnte und einem Zuhause, in dem ich mich selten sicher, sondern ständig bedroht fühlte.

Ein paar Schläge haben noch niemandem geschadet?

Es war nämlich mehr als nur ein paar Schläge. Es war die grausame, kraftvolle Hand, deren Finger ich an meinem Hintern spürte. Der Gürtel, der mit seiner Metallschnalle so richtig schmerzte, wenn er mich auf den Rücken traf. Es waren viele kleine Details, die ich schmerzhaft gefühlt habe. Viel mehr als das Wort „Schläge“ je ausdrücken könnte.

Vor allem aber war es die psychische Gewalt gegen mich als Kind. Der Liebesentzug, die permanenten „Du wirst versagen und alles wird im Chaos enden“-Geschichten. Das ständige Gefühl, alles falsch zu machen, ständig kritisiert zu werden und natürlich die dauernd vorhandene Angst vor der nächsten Prügel-Attacke.

Junge hält sich die Hände vor Gesicht und Vater mit einem Gürtel im Vordergrund
Quelle: FlickR / Rick's visuals

Nur ein paar Schläge“ … und viele Auswirkungen

Heute weiß ich: Misshandlungen in der Kindheit erschüttern das, was Kinder am meisten brauchen. Das absolute Vertrauen, dass Ihre Eltern hinter Ihnen stehen. Die einzig wirklich wichtigen Bezugspersonen in ihrem Leben. Wenn diese Personen emotional nicht da sind sondern – wie bei mir – Vertrauen und das Gefühl, geliebt zu sein wie man ist, durch Gewalt und Bedrohung ersetzt werden, dann war’s das. Emotionales Game over. Bei mir zumindest. 

Mein Körper in ständiger Alarmstimmung

Ich war ständig auf der Hut wie ein Erdmännchen, das um sein Leben fürchtet … irgendwie muss ich das Symbolbild nebenan ja erklären…. ich wollte nicht „schon wieder“ einen „Fehler“ zu machen, der zu Schläge führte. Ich war immer leise, um nicht schon wieder angebrüllt zu werden. Ich war selten „ich“, wenn mein Vater in der Nähe war. Das ging nur, wenn ich mit meiner Mutter allein war. Sie war die Person, die wirklich wusste, wie ich bin und was ich will.

Bis ich es irgendwann nicht mehr ausgehalten und gegen meinen Vater rebelliert habe. Mit absehbaren, schmerzhaften Konsequenzen. Mein einziges Gegenmittel: meinen Vater auszulachen, während er mich mal wieder verprügelte. „Mehr fällt dir nicht ein, was? Immer nur prügeln, prügeln, prügeln“, habe ich ihm ins Gesicht geschrien. Das Ergebnis: seine Wut wurde noch größer, weil er seine eigene Hilflosigkeit gespürt hat. Die Schläge wurden ebenfalls noch schlimmer. Trotzdem hatte ich gewonnen. So zumindest mein Gefühl. Ich habe ihn an einer Stelle entblößt, über die er keine Gewalt hatte: seine eigene Hilflosigkeit gegenüber seinen Gefühlen.

Rudel Erdmännchen
Quelle: Pixabay / Mark

Was am Ende dabei raus kommt

In meinem Fall kam dann leider im Alter von 10 – 14 Jahren auch noch eine schwere Krankheit dazu. Fast vier Jahre dauernden Krankenhausaufenthalt mit vielen schweren Operationen. Beides in Kombination hat es geschafft, mich endgültig als permanent schwach, verletzlich und wehrlos zu erleben. Das Resultat: Angst. Vor ganz vielem. Dass mir das Leben entgleiten könnte, wie mein Vater drohend prophezeit hat. Das alles ganz schlimm enden würde. Dass der kleinste Fehler zerstörerische Konsequenzen haben könnte. Ein kleiner Trigger kann dafür sorgen, dass ich katastrophisiere. Wenn, ja, wenn es mich emotional betrifft. Ein wichtiges Detail.

Das klingt, als ob man mit einer Kindheit wie meiner nicht zu einem selbstbewussten erwachsenen Menschen werden kann, gell? Falsch! Nur ist mein Selbstbewusstsein sehr selektiv. Wenn ich die Dinge im Griff habe, dann kann ich nach außen dabei erstaunlich selbstsicher wirken. Passieren Dinge, die mich in meine Kindheitserlebnisse zurück rutschen lassen, dann ist es das Gegenteil. Plötzlich bin ich wieder der kleine Junge, der Angst hat. Ich ziehe mich zurück und in meinem Gefühlen ist das Ende meiner kleinen Welt nah. Beim Aufschreiben und mit emotionaler Distanz bringt mich das zum Lachen, weil es so absurd übertrieben klingt. Ist aber leider wahr. Ich arbeite daran. Eines meiner wichtigen Ziele.

Meine Bitte

In einer Therapiesitzung habe ich es einmal auf den Punkt gebracht. Ich habe meinen Vater, längst verstorben, angeschrien: „Du Arschloch, weißt Du eigentlich, dass Du mir mein ganzes Leben versaut hast? Du hast gesagt, du willst mich beschützen, und was hast du getan? Mein ganzes Leben kaputt gemacht!!“ Ich hatte Tränen in den Augen und es fühlte sich an, als ob mein Körper beben und meine Haut kribbeln würde. Darum, liebe Eltern: bitte, bitte, gebt Euren Kindern Liebe und Rückhalt und das unerschütterliche Gefühl, Euch vertrauen zu können. Selbst wenn mal Mist passiert. Ich habe selbst keine Kinder, kann also „leicht“ reden. Und ich sehe bei Freunden, wie nervenaufreibend Kinder sein können. Und wie schwer ist, nicht auszuflippen, die Kids anzuschreien, die Hand zu erheben. Aber wollt ihr Ihnen einen verschissenen Lebensstart bereiten wie mein Vater es bei mir getan hat? Darum: Macht ihnen keine Angst, auch wenn Ihr Angst um sie habt. Ihr seid die ganz kleine große Welt Eurer Kinder. Und die muss für sie sicher sein. Wenn Ihr Ängste fühlt und meint, Eure Kinder nur durch extreme Kontrolle und Einschüchterung von dem vermeintlich Bösen in dieser Welt beschützen zu müssen, dann macht sie nicht zu den Ängsten Eurer Kinder. Das ist EURE Baustelle, nicht die Eurer Kinder.

Quelle: Pixabay / Shannon Lawford

Schlafen. Einfach nur schlafen.

Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich gerne ins Bett ging. Schlafen war schön. Am Wochenende gerne auch bis 11. Ich mochte das Gefühl, sich in einem Bett wohl zu fühlen. Es scheint wie eine Erinnerung an Tage, die sehr vorbei sind.

Denn plötzlich änderte sich meine Welt. Plötzlich hatte ich Angst. Vor meinem Bett. Vor dem Schlafzimmer. Auslöser war der Umzug meines Hauptauftraggebers, für den ich als Selbständiger damals extra in die Stadt gezogen bin, in der das Unternehmen viele Jahre seinen Sitz hatte. Der Umzug des Auftraggebers bedeutet für mich: ich wurde zum Pendler. Ungefragt. Ich fühlte mich ausgeliefert, denn ich musste es mitmachen. Oder arbeitslos werden. Also keine Option. Plötzlich lagen 50 Kilometer zwischen mir und dem Arbeitsplatz. Besonders morgens ist das eine Herausforderung. Werde ich den Wecker hören? Wird es Stau geben? Werde ich rechtzeitig vor Ort sein? Meine Ängste vor Frühschichten brachten mich um den Schlaf.

Mond
Quelle: Pixabay / Peter Dargatz

Selbsterfüllende Prophezeiung

Das völlig „bekloppte“ beim Nicht-Einschlafen-Können ist: je mehr Angst ich davor habe, dass es „wieder“ passieren könnte, desto aufgeregter wurde ich und desto schlechter konnte ich wirklich einschlafen. Da zeigt sich die Angststörung von ihrer wirklich absurden Seite. Allein der Gedanke, etwas könnte passieren, lässt es dann wirklich passieren. Und das auch immer häufiger. Zum Schluss ging es nicht mehr nur um Frühschichten. Jede Nacht, wirklich jede, wurde zur Herausforderung. Viele davon habe ich zum Schluss weinend auf dem Sofa verbracht. So aufgewühlt war ich vor Ärger, mal wieder nicht schlafen zu können. 

Das Sofa war mein letztes Refugium, auf dem Schlafen noch ein bisschen funktionierte. Selbst wenn es nur zwei, drei Stunden waren. Manchmal war meine Welt so absurd, dass ich nach einer Stunde verzweifelten „ich möchte durch nur schlafen“-Weinens heulend aus dem Bett aufstand, mich aufs Sofa legte und dort innerhalb von zwei Minuten eingeschlafen war. Und mit Rückschmerzen aufwachte, denn Sofas eignen sich nicht wirklich für entspannte Nächte. In meinem Kopf hatten sich „bekloppte“ Dinge verknüpft. Bett bedeutete Panik, Angst, Ärger, Schlaflosigkeit. Sofa bedeutete Hoffnung, Rettung, Rückzugsort. Es ging also gar nicht darum, dass ich unter einer „echten Insomnie“ litt, sondern es ging zum großen Teil um die Bewertung des Ortes „Bett“. Und um die Bewertung der Tatsache „Einschlafstörung“.

Denn die machte mich verzweifelt und aggressiv. Wie oft hätte ich mitten in der Nacht am liebsten die halbe Wohnungseinrichtung zerlegt, um meine Aggression gegen meine Schlafstörungen irgendwie los zu werden. So oft habe ich gedacht, dass es gut ist,d dass ich nicht dazu neige, mich selbst zu verletzen. Dann hätte ich es nämlich in solchen Nächten getan. „Schlafen, ich will nur schlafen. Ich will mein altes Leben zurück. Warum passiert mir so eine Scheiße? Das wird immer so weiter gehen und ich werde aus dem Leben kippen!“, waren meine Gedanken. Statt darin etwas positives zu sehen. Ja, ich hätte gern geschlafen. Das wäre meine erste Wahl gewesen. Aber ich hätte auch denken können: „ok, geht jetzt nicht, aber cool, dann hast du jetzt Zeit, noch den Papierkram fertig zu machen. Oder eine Folge der Lieblingsserie zu sehen. Oder noch eben die Wäsche zu bügeln. Oder per Kopfhörer Keyboard zu spielen, was sich doch immer so gut anfühlte“. Das alles fiel mir aber nicht ein. So fixiert war ich auf meine Verzweiflung.

Faust schlägt durch Glasscheibe
Quelle: Pixabay / Wendy Corniquet

Was ich geschafft habe und was nicht

Noch immer bin ich auf dem Weg zur einer Lösung. Derzeit läuft es zwar ganz gut, aber ich traue dem Braten noch nicht. Zu intensiv waren die Erfahrungen in verzweifelten Nächten. Das hat sich eingebrannt und Spuren hinterlassen. Zur Wahrheit gehört, dass ich in Absprache mit meinem Psychiater die abendliche Dosis meines Antidepressivums erhöht habe. Ob das aber wirklich das Ausschlaggebende war? Immerhin habe ich in größter Wut und Verzweiflung schon so starke Gefühle produziert, die sämtliche Tabletten wirkungslos haben werden lassen. Ich glaubte also gar nicht mehr so recht an die Wirkung der Medikamente. Verantwortlich dafür, dass das mit dem Schlafen derzeit wieder einigermaßen klappt, scheint mir vor allem, dass ich zwei gute Nächte hintereinander hatte. Und das hat offenbar gereicht, mir so viel Mut zu machen, dass das „verdammte Schlafen“ plötzlich wieder klappte. Und dabei habe ich gelernt: total „bekloppt“ ist, was das Gehirn mit mir macht. Scheinbar geht es nämlich nicht nur um Fakten, sondern auch ganz viel um deren Bewertung. „Denke Gutes und es wird Gutes passieren“, klingt mir viel zu klischeehaft. Aber ein bisschen was Wahres scheint daran zu sein. Auch wenn das mit dem Gutes denken oft schnell gesagt ist, aber sehr lange braucht, bis es klappt. Irgendwie darf man nicht aufgeben. Trotz aller Entnervung immer weiter machen. Das kostet Kraft. Verdammt viel Kraft.

Die Angst ist berechenbar

Lange habe ich gedacht, dass ich im negativen Sinne einzigartig bin mit meiner Angststörung. Einer, der mit seinem Leid allein ist. Einer, für den es keine Lösung gibt. Es war ein einsames Leid. Leider habe ich recht spät in meiner Leidensgeschichte erfahren, dass Angst-Attacken einem berechenbaren Muster folgen. Dass ich gar nicht so einzigartig bin wie ich gedachte habe. Für mich eine beruhigende Vorstellung. Mir persönlich hilft Wissenschaft, die mir sagt: „Bleib mal locker, du bist nur ein Fall von tausenden und was du durchmachst ist gut erforscht“.

Heftig, aber berechenbar

Jede meiner Angst-Attacken beginnt mit einem Gefühl, dass plötzlich irgendetwas nicht stimmt. Die Angst spielt ihr hässliches Spielchen mit uns. Jetzt geht es los. Als Beispiel hier einer meiner Ängste: Ein großer Raum voller Leute, es ist stickig, ich bin gut gekleidet, will aussehen wie aus dem Ei gepellt und fange an zu schwitzen. In meinem Kopf rast die Panik: Was soll ich jetzt tun? Werden andere sehen, dass sich mein Hemd langsam in einen Schweiss-Schwamm verwandelt?

Taschenrechner
Quelle: Pixabay / Rob Owen-Wahl

Die Angst davor wie es weiter geht

In meinem Kopf katastrophisiert die faktische Feststellung „hier sind viele Leute und es ist stickig“ zu einem „ich werde peinlich aussehen“, „alle werden es sehen“, „ich mache mich lächerlich“ oder „ich werde kollabieren, weil ich es nicht mehr aushalte“. Nichts von all dem ist jemals passiert, aber mein Kopf arbeitet gerade an einem Katastrophen-Film. Das Drehbuch sagt: die Angst wird sich ins Unermessliche steigen, bis ich es nicht mehr aushalte.

Die Vermeidung

Was also tun? Raus. Bloß raus aus dem Raum. Raus aus der stickigen Luft, aus der vermeintlich drohenden Peinlichkeit, aus der unbeherrschbaren Situation. Und zack: weniger Minuten später fühle ich mich besser. Nicht, weil es draußen vielleicht weniger stickig wäre. Aber mein Körper belohnt mich mit mit einem Glücksgefühl, der Gefahr erfolgreich entronnen zu sein. Oder besser: vermeintlich erfolgreich. Denn beim nächsten Mal wird alles wieder von vorne los gehen. Mein Sieg ist also nur ein scheinbarer Sieg.

Arsch zusammenkneifen und durch

Wirklich helfen kann nur eins: Augen zu und durch. Dabei erleben Angst-Patienten wie ich zweierlei. Erstens: ja, die Angst steigt. Es wird wirklich schlimm. Aber zweitens: es wird nie so schlimm wie befürchtet. Irgendwann im Verlauf der Reaktion nimmt die Angst ab. Ein Sieg. Oder: ein halber. Denn beim nächsten Mal in einer ähnlichen Situation wird es wieder schlimm sein. Die gute Nachricht: es wird weniger schlimm als beim ersten Mal. Unsere Seele kann sich an die Angst gewöhnen. Und dann fühlt es beim dritten, vierten, fünften Mal immer weniger bedrohlich an.

Geht die Angst ganz weg?

Ob ich mich durch das fleißige und mutige Durchstehen der Angst irgendwann in großen Gruppen in großen Räumen und stickiger Luft gut fühlen werde, weiß ich nicht. Noch warte ich darauf. Ich merke aber schon: die Phasen, in denen ich mich unwohl fühle, werden seltener. Und manchmal vergesse ich sogar schon, dass meine Angst gerade jetzt eigentlich Gas geben sollte. Dann denke ich: „Wenn ihr wüsstet, welche Schwerstarbeit mein Kopf gerade leistet und dass ich es gerade mal wieder geschafft habe!“. Und dann bin ich stolz auf mich. Ganz heimlich ohne groß darüber zu reden. Mein kleiner, stiller Sieg über meine Angst.

Gut und böse, mutig und ängstlich

„Der Sascha, der ist ein witziger Typ“, höre ich oft. Von Freunden oder Arbeitskollegen oder Menschen, die mich nur kurz kennen lernen. Ich kann ein Strahlemann sein und ein Mensch, der auch in schwierigen Situationen mit scheinbarer Gelassenheit eine Lösung findet. Nach außen wirkt das dann wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung, der scheinbar die Ruhe behält, wenn die See um mich herum wild tobt.

Mann mit Hut macht lustiges Gesicht
Quelle: Pixabay / Ryan McGuire

Wie kannst Du unter einer Angststörung leiden?

Wie aber passt das zu meiner Angststörung? Verheimliche ich also allen da draußen etwas? Spiele ich ihnen nur etwas vor und all das, was Außenstehende von mir sehen, ist nur ein wunderbares, über Jahre einstudiertes Theaterstück namens „Der fröhliche Typ von nebenan“? Das wäre einfach, denn die Erklärung ist komplizierter.

In der Tat gibt es bei einem Angstpatienten wie mir beide Seiten. Da sind die Tage, an denen ich genau so bin, wie mich andere oft zur Kenntnis nehmen. Dazu braucht meine Seele keine Schminke, keine auswendig gelernten Texte und es ist auch kein gewaltiger Maskenball. Ich bin echt, ehrlich und gut gelaunt mit einem Hang zum absurden Optimismus. Dann bin ich Luke Skywalker, der mutige Yedi, der auch den Kampf allein gegen das Böse nicht scheut.

Die dunkle Seite der Macht

Und dann gibt es Tage oder Phasen oder Stunden, in denen bin ich Darth Vader. Die dunkle Seite. Beherrscht von meiner Störung. Wenn die Angst gerade mal wieder rein kickt und ich hilflos bin. Wenn mein analytisches Denken gerade mal wieder vor die Wand läuft und mein Kopf den nächsten Horrorfilm im Streaming-Portal „Saschas schönste Ängste“ ausgewählt hat. Auch das bin ich. Die andere Seite von mir. Nein, ich leider nicht unter eine multiplen Persönlichkeit. Meine Seele hat einfach verschiedene Anteile. Mal gewinnt die eine, mal die andere. Wie bei uns allen, die wir vor manchen Dingen Angst haben und vor anderen nicht. Der Unterschied bei mir: manchmal ist mir nicht klar, wer hier gerade auf die Bühne getreten ist und warum gerade er ausgerechnet jetzt seinen Auftritt hat.

Spielzeugfigur Darth Vader
Quelle: Pixabay / Erika Wittlieb

Der Angstpatient - der unzuverlässige Typ?

Das Tolle an mir ist: ich habe all das inzwischen professionalisiert. Ich habe meinen Weg gefunden, damit umzugehen. Zumindest nach außen. Im Job merken das nur Menschen, die mich sehr lange kennen. Der Rest erlebt mich einfach als jemand, der alles perfekt unter Kontrolle hat. Lösung A, B und C hab ich immer gleich in der Tasche. Eine Strategie, um mich zu schützen. Um mich selbst zu beruhigen, dass auch in einer Angstphase nichts schief geht. Arbeitgeber finden so was sicher klasse, denn auch wenn Außenstehende meinen könnten, ich könnte ja „jederzeit austicken“ ist das Gegenteil der Fall: Ich habe mir Methoden geschaffen, maximal zuverlässig zu sein. Wie es meiner Seele in solchen Phasen geht, spielt im Job ja keine Rolle. Was ich sogar – erstaunlich und vielleicht nur meine ganz eigene Sicht der Dinge – verstehen kann. Wenn jeder in einem Betrieb seine Befindlichkeiten thematisieren würde, gäbe es vermutlich sogar große Probleme, sich ums Tagesgeschäft zu kümmern und der Laden wäre eine große Therapiegruppe. Für mich aber war genau das der Grund, mich um mich selbst zu kümmern. Und Profis zu suchen, die mir helfen. Weil „einfach mal drüber reden“ nicht mehr gereicht hat.

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