Emotionales Chaos“ – das bringt am besten auf den Punkt, was ich in diesen Wochen in der Klinik erlebe. Es ist bewegend, enttäuschend, ermutigend oder verwirrend. Alles schön nacheinander als Warm-Kalt-Wechseldusche. Oder manchmal auch alles gleichzeitig, als ob jemand zwei Wasserhähne gleichzeitig aufgedreht hätte. Und gelegentlich lauert die Überraschung auch da, wo man sie überhaupt nicht erwartet.

In einer psychosomatischen Klinik tue ich oft genau das, was ich früher – vor meinem Dasein als „Psycho-Patient“ – belächelt habe. Zwar musste ich bisher noch nicht meinen Namen tanzen oder „Ommm“ singen, aber spätestens als ich den Punkt „Kunsttherapie“ auf meinem Stundenplan entdecke, denke ich: „Alles klar, jetzt bin ich endgültig in der Klapse gelandet!“ „Kunsttherapie“? Kreise malen und dabei in die Hände klatschen? Oder Farben fühlen und dabei ein Lied singen? Alles Quatsch natürlich. Es passieren ganz andere Dinge.

Glasbehälter mit Pinseln
Quelle: Pixabay / Rudy and Peter Skittarians

"Ich kann das nicht!"

Niemand in unserer Gruppe ist Chagall oder Monet oder Rembrandt und selbst Psychopatient Sascha weiß natürlich, dass es hier nicht darum geht, die perfekte, künstlerische Leistung abzuliefern. Geht auch gar nicht, denn ich habe für alles, was mit Pinsel und Leinwand zu tun hat wahlweise zwei rechte oder zwei linke Hände. Das kann ich also gar nicht. Und schon sind wir mittendrin im Thema.

Ich kann das nicht!“ Dieser Satz steht am Anfang quasi indiskutabel zwischen mir und dieser Form der Therapie. Wie ein großes, rotes Stoppschild. Aufgestellt von einer imaginären Staatsgewalt, als solches nicht in Frage zu stellen und quasi aus sich heraus legitimiert. „Stopp, das kannst du nicht!“ Ich erinnere mich, dass ich am Anfang diverse Strategien entwickele, um mich vor der „Kunsttherapie“ zu drücken.

Einfach mal machen im Leben?

Da „Pinselhaar-Allergie“ oder „Leinwand-Unverträglichkeit“ eher unglaubwürdig sind, sitze ich nun doch mit meiner Therapiegruppe in einem Raum vor einem großen Stück Papier, dass so weiß ist, dass mir davor graut. „Schreib-Hemmung“ hab ich nie. „Mal-Hemmung“ schon. Ich soll einfach mal „was“ machen, sagt die Therapeutin. Einfach so? Kann ich nicht. Ich brauche einen Plan, eine Grundidee, ein fertiges Ergebnis zumindest vor meinem geistigen Auge. So mache ich das immer. Privat und beruflich. Wie sollte es auch anders gehen.

Überraschung: es geht anders. Ich schnappe mir Materialien, mit denen ich nie im Leben zu tun hatte und „mache mal“. Dabei kenne ich Schwämme eher aus der Badewanne, aber nicht vom malen. Und Acryl vom Fugenabdichten, aber nicht als Farbe. „Scheiss drauf, ich mach jetzt!“ sage ich mir. Fünf Stunden dauert es. Für mich eine große Leistung, denn Langstrecke ist nicht meine Stärke, eher Sprint. Ich male, tupfe, übermale, denke neu. Die emotionale Entwicklung meines Machwerkes geht von „peinlich“ über „naaajaa“ bis hin zu „handwerklich bedenklich, aber emotional befriedigend“. Es wird ein Mutmacher-Bild. Das jetzt zu Hause in der Diele hängt. Ich muss daran vorbei laufen, wenn ich ins Schlafzimmer gehe. Es soll mich daran erinnern, dass ich Dinge erreichen kann, wenn ich an mich glaube. Schlafen zum Beispiel. Oder – im Rahmen meiner Möglichkeiten – malen.

Quelle: Sascha Schwarz

Mach einfach!

Aus einem „ich kann das nicht, ich will das nicht, ich versuche mich zu drücken“ ist ein „ja, ok, besser als ich gedacht habe“ geworden. Aber woher kommt eigentlich dieser Glaubenssatz „Das kannst du nicht!“, den ich mir da so vehement ins Hirn gezimmert habe? Ich bewundere immer Menschen, die ich aus meiner Perspektive als „junge Leute“ bezeichne und diesen Satz – so erlebe ich es im Job – überhaupt nicht in sich tragen. Die „können“ immer „alles“, sagen sie. Oder lassen es non-verbal verlauten. Selbstbewusstsein statt Selbstzweifel. Ich glaube inzwischen: Die „machen“ einfach. Ende offen. Aber immerhin: mutig offen. Wie ich in der „Kunst-Therapie“. Das erste mal ohne Plan, aber doch mit ungeplant befriedigendem Ergebnis.

Quelle: Sascha Schwarz

Welchen Ursprung mein „Das kannst du nicht!“ hat, wird mir einige Wochen später klar. Es ist wieder Kunst-Therapie. Ich versuche mich – schon wieder eine Neuheit für mich – an einem Speckstein. Hobeln, feilen, abschleifen. Ich mache mal wieder „irgendwie irgendwas“. Und plötzlich kommt da diese Erinnerung, die ich 40 Jahre vergessen oder verdrängt habe: Mein despotischer Arschloch-Vater will damals, dass aus mir ein „richtiger“ Mann wird. Und richtige Männer sind natürlich nur die, die mit einer kleinen Säge aus kleinen Holzbrettchen vorgezeichnet Figuren aussägen können. Laubsäge-Arbeiten heißt das früher. Und der echte Kerl, der das kann, ist „homo laubsaegus“.

Quelle:Sascha Schwarz

Unerwartete Erkenntnis

Ich kann es nicht. Muss es aber. Und so sitze ich im Kinderzimmer, heule, und verstehe nicht, warum mein Vater mir wieder mal das Gefühl gibt, ein Versager zu tun. Wie schon so oft in meinem Leben gibt es Kritik statt Unterstützung. Dass ich mich damals schon für Musikinstrumente interessiere oder Computer spannender finde als Holzbretter oder mit dem Kassettenrekorder „Radiosendungen“ aufnehme – das zählt alles nicht. Das Kind muss laubsägen können. Und schafft es nicht. „Du kannst das nicht! Du Versager!“ – das mein Vater vielleicht nicht so gesagt, aber so ist das Gefühl, das ich damals habe. Ich bin nicht genug. Meine Fähigkeiten, die ich habe, offenbar auch nicht. So ist meine Kindheit: immer das Gefühl, nie genug zu sein, nicht geliebt zu werden für das, was ich kann. Immer mal wieder der Versager zu sein.

Eine Erinnerung, die sich lange versteckt hat. Bis zu einem unscheinbaren Speckstein in einer Psychoklinik. Kunsttherapie – so habe ich dich nicht erwartet.