Die ersten zwei Wochen waren heftig. Aber es sollte noch heftiger kommen. Ich darf das erste Wochenende zu Hause verbringen. „Endlich“, denke ich. Und gleichzeitig macht es mir große Angst. Zu Hause sein heißt auch zu Hause schlafen zu müssen. In dem Bett, in der Wohnung die mir zuletzt so große Probleme bereitet hat. Ein Gedanke, der sich schnell bei mir fest frisst und mich unerwartet in die nächste große Krise stürzt.
Zu Hause, zurück in die gewohnte Umgebung. Ich habe mich sehr gefreut, meinen Mann wieder zu sehen. Natürlich haben wir jeden Tag Kontakt, machen Videocalls und chatten zwischendurch. Aber fürs Ankommen in einer Klinik ist wichtig, dass man den Kontakt „nach Hause“ reduziert. Für mich ist das nicht nicht einfach. Auch nach fast 12 Jahren Beziehung sind wir immer noch froh, uns zu sehen und reden gern miteinander.
Hoffnung. Enttäuschung. Nah beieinander.
Jetzt also zurück fürs Wochenende. „Belastungserprobung“ nennen das die Mediziner hier. Ich fand das Wort lächerlich. Warum nennen sie das nicht einfach „Freizeit“ oder „Wochenende“ sondern machen da so einen medizinischen Hokuspokus raus? Aber schnell sollte ich lernen, dass es genau den Punkt trifft. Es ist nämlich in der Tat „belastend“.
Der Samstag beginnt, als ob er Alltag wäre. Oder zumindest die Simulation von Alltag. Mein Mann und ich hatten vorher besprochen, dass wir bewusst auf romantische, sehr emotionale Dinge verzichten wollen, damit mir der Abschied am Sonntag nicht so schwer fallen würde und meine Anpassungsprobleme in der Klinik wieder los gehen. Also probieren wir die Inszenierung von Pseudo-Alltäglichkeit. Ich gehe zum Bäcker, kaufe Brötchen und Kuchen und fahre weiter nach Hause. Mein Mann liegt noch im Bett. Die Woche war anstrengend für ihn. Ich wecke ihn und sehe mein Alptraum-Bett wieder. Ganz ohne Alptraum diesmal. Matratze, Laken und Bettdecke zu sehen fühlt sich gut an. Oder zumindest neutral. Aber noch ist es Tag und nicht Nacht. Noch muss ich mir nicht beweisen, dass ich hier schlafen kann.

Plötzlich geht es los
Das ändert sich gegen 17 Uhr. Beim Vorbeilaufen am Schlafzimmer kommt mir plötzlich dieser eine kurze Gedanke. „Noch 5 Stunden, dann schauen wir mal, ob das mit dem Schlafen klappt“. Ein Gedanke, der sich fest frisst. Dem ich dabei zusehen kann, wie er sich einbohrt in meine Gedanken und alle positiven Gefühle mit sich in die Tiefe reißt. Für Außenstehende mag dies fast lächerlich klingen. Für mich ist es die pure Angst. Ich versuche es zu überspielen, mich selbst zu beruhigen. Es klappt. Vorerst.
Doch dann kommt, was kommen musste: Die Nacht ist da. Ich lege mich ins Bett und alle negativen Gefühle sind wieder da. Mit Wucht. Mit Schwitzen, Zittern, Wut und großer Angst. „Scheisse, scheisse, scheisse“ schreie ich in mein Kissen. Ich bitte meinen Mann, mir diesmal nicht zu helfen. Ich will es allein schaffen, mit den Techniken, die ich in der Klinik gelernt habe. Mit der super anstrengenden Stresshocke, die mich aus meinem Panikgefühl raus holen soll. Mit super saurem Zitronensaft, der ebenfalls meine Gedankenkreise unterbrechen soll. Mit dem, was ich mir sorgfältig nach jeder Therapiesitzung aufgeschrieben habe. Es wirkt … nicht. Aus purer Verzweiflung schreibe ich einem Mitpatienten, dessen Handynummer ich habe. Mitten in der Nacht gibt er mir Tipps, wie ich mich verhalten soll. Mir helfen die Worte „Lass sich auf die Angst ein, lass sie kommen, sie tut weh, aber sie wird vorbei gehen“. Irgendwann schlafe ich ein.

Morgens fühle ich mich wie zerschlagen. Nicht, weil ich zu wenig geschlafen habe. Ich habe genug Stunden auf der Schlaf-Uhr zusammen bekommen. Vielmehr ist es die Enttäuschung über mich selbst, über die Klinik, die es nicht geschafft hat, mir ausreichende Methoden an die Hand zu geben. Dass ich dieses Mal nicht vom Bett aufs Sofa geflüchtet bin, dass ich nicht komplett durchgedreht bin, dass ich zumindest angefangen habe die Anti-Stress-Methoden anzuwenden statt nur zu weinen – das könnte ich mir als erste gute Entwicklungen auf meine Positiv-Liste schreiben. Tue ich aber nicht. „Ich habe versagt und es wieder nicht hinbekommen“, ist das einzige, was mir einfällt. Da kann mein Mann mit Engelszungen und einer schon Monate andauernden Geduld auf mich einreden – ich fühle mich nur schlecht.
Macht das alles Sinn?
Ich kürze ab: auch das Wochenende danach wird genau so wie das erste. Tagsüber ist alles gut. Die Dämonen kommen nachts. Gut, an diesem Wochenende ist es heiß in Deutschland und vermutlich fällt vielen das Einschlafen schwer. Ich nicke erst ein, wache eine halbe Stunde später wieder auf und kann dann nur noch schwer zurück finden in den Schlaf, den ich mir so sehnlich wünsche. Ich habe das Gefühl, dass es mir wieder entgleitet. Ich habe es nicht unter Kontrolle, es macht mir mir, was es will. Ich bin nur Zuschauer dessen, was passiert. Machtlos. Schon wieder. Trotz Stresshocke und Zitronensaft und dem Versuch, meine Gedanken wie gelernt zu kontrollieren.
„Ich mache in der Klinik keine Fortschritte, vielleicht sogar Rückschritte“, kommt mir in den Kopf. Abbrechen? Macht das alles Sinn? Wie lange soll das noch so weiter gehen? Bin ich jetzt monatelang in der Klinik? Was wird aus meinem Job? Ich renne schon wieder komplett katastrophisierend ins Kopf-Chaos. Bloß weg aus der Wohnung, weg von der Enttäuschung, leider auch weg von meinem Mann – ich fahre zurück in die Klinik. Eine Mitarbeiterin fragt: „Und, wie war das Wochenende?“ Das ist zu viel. Ich rette mich ins Zimmer und heule. Eine gefühlte Großpackung Taschentücher geht dabei drauf. „Belastungserprobung“ – das trifft es wirklich.

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