Die wunderbare Welt der Angststörungen

Monat: September 2022

Die Klinik – Teil 7. Unerwartete Bewährungsprobe.

Wie soll das eigentlich weiter gehen?“ Ein Gedanke, der mich den ganzen Klinikaufenthalt lang begleitet. In der Therapie läuft es gut, ich bin der Vorzeigepatient und verstehe kognitiv genau, was mit mir passiert. An meinen Wochenenden zu Hause aber läuft es … unstabil. Die Sorge vor unruhigen Nächten und die Wut darüber, es „wieder mal nicht geschafft zu haben“ ist immer noch da. Und jetzt? Auf immer und ewig werde ich mich nicht in der Psychoklinik verschanzen können. Irgendwann muss ich wieder zurück ins „richtige Leben“. Wie soll ich das jemals schaffen? Die Antwort: Das Leben findet seinen Weg.

In meinem Fall ist dieser Weg unerwartet und heißt „Bindehautentzündung“. Weiß der Henker, woher sie kommt. Tatsache ist: es hat mich schwer erwischt. Mein linkes Auge ist rot, es tut weh und es passieren Dinge, die ich dem geneigten Leser angesichts eines möglicherweise anstehenden Mittag- oder Abendessens lieber ersparen möchte. Während ich langsam zu einem Augen-Alien mutiere beschert mir eine Untersuchung in der hiesigen Uniklinik die Erkenntnis: das, was ich da habe, könnte ansteckend sein. Und „ansteckend“ bedeutet: entweder tagelange „Augen-Quarantäne“ in meinem Einzelzimmer oder raus aus der Psychoklinik, damit andere Patienten vor meinem Viren-Debakel verschont bleiben.

Auge
Quelle: Pixabay / Tobias Dahlberg

Wie soll das klappen?

Da ist sie also, die Situation, vor der ich panische Angst habe: raus aus der Klinik. Ungeplant und überstürzt. Zumindest bis klar ist, auf welche Art von Virus mein Auge ein Auge geworfen hat. Bis dahin ohne Möglichkeit der Rückkehr in mein sicheres Refugium, in dem derzeit die Welt in Ordnung ist. Was soll ich nur tun? Wie soll ich das schaffen? Ich packe meinen Koffer in der Psychoklinik und stopfe eine gehörige Portion Panik zwischen Wäsche und Kulturtasche.

Natürlich freue ich mich, meinen Mann wieder zu sehen. Und doch bedeutet es: ich muss mich meinen Dämonen stellen. Aus therapeutischer Theorie wird ungeplant früh panische Praxis. Und die hält eine Überraschung parat: Die erste Nacht klappt erstaunlich gut. Was in meiner absurden Gedankenwelt den Druck auf die zweite Nacht leider erhöht: Wird es wieder so gut sein? Oder bleibt es ein Einzelfall? Ich bitte meinen Mann am zweiten Abend um eine meiner „Notfalltabletten“ aus alten Tagen, weil ich mich den ganzen Tag lang kribbelig fühle und ich dieses Gefühl nicht weg kriege. Wobei ich mir attestieren muss, dass ich auch nicht alle in der Klinik gelernten Möglichkeiten versuche. Egal, eine Tablette ist erlaubt. Mein Mann gibt sie mir zögerlich und ist ein wenig sauer auf mich, weil er merkt, dass ich mich hängen lasse. Trotzdem: die zweite Nacht klappt auch.

Bedrohliche Dämonen

Die dritte Nacht beginnt wieder kribbelig, doch bin ich gedanklich so bei meinem Mutanten-Auge, dass dieser Gedanke letztendlich wichtiger ist als die Sorge um meinen Schlaf. Ich brauche zwar länger zum einschlafen, aber auch dieses mal klappt es. Und Nacht Nummer 4? Ich mache vorher Entspannungsübungen, wie ich sie ohnehin „eigentlich“ jeden Tag machen will. Die Nacht ist dann kein Problem. Umdrehen. Schlafen. Und warum? Weil ich merke, dass ich aufhöre, meine Gedankenkreise um meinen Schlaf zum Dauerthema zu machen und darauf zu vertrauen, dass mein Körper es schon schaffen wird. Irgendwoher kommt die Zuversicht.

Schemenhafter Geist
Quelle: Pixabay / Stefan Keller

Eine weitere Untersuchung am darauf folgenden Tag an der Uniklinik macht klar, dass mein martialisch aussehendes Rot-Auge zwar nervig, aber nicht ansteckend ist. Ich könnte also zurück in die Psycho-Klinik. Zurück in meine sichere Welt zwischen Psycho-, Tanz- und Kunsttherapie. In die Welt also, die vor vier Tagen noch wichtig für mich war. Und von der ich vier Tage später merke, dass sie völlig unbemerkt ihre positiven Spuren in meiner Psyche hinterlassen hat.

Ein unerwartete Entscheidung

Ich fasse einen mutigen Entschluss: ja, ich gehe zurück in die Klinik. Aber nur noch für eine Woche. Um einen ordentlichen Abschluss zu finden. Um mit allen Therapeuten noch mal finale Gespräche zu führen und alles für mich zusammen zu fassen. Und während ich dies hier schreibe stelle ich fest, dass sich zwei Monate Psychoklinik auf ein paar banale Erkenntnisse reduzieren: Manche Dinge werden erst dann gut, wen Du aufhörst, sie kontrollieren zu wollen. Vertraue auf Dich und Deinen Körper. Und: erzähle nicht immer nur davon, deine Glaubenssätze ändern zu wollen, sondern sei wirklich dazu bereit.

Ein paar einfache Sätze, zu denen in Zukunft sicher noch ein paar mehr dazu kommen werden. Und doch war es ein langer Weg dorthin. Der Weg ist immer noch auf sandigem Boden gebaut und vermutlich werde ich noch viele Male kämpfen müssen, um nicht im weichen Untergrund einzusinken. Aber hey, so ist der Deal: Die Therapie in der Klinik gibt die Richtung vor. Die Landkarte schreibst Du selbst. Und gehen musst du allein.

Oder wie ein lieber Mitpatient es formuliert hat: Der Zug der dich überfährt, wird von Dir gesteuert. Von keinem anderen sonst.

Mann im Wald mit Sonnenaufgang hinter Bäumen
Quelle: Pixabay / Joe

Die Klinik – Teil 5. Hin und her.

Wer von Euch den Teil 4 gelesen hat, hat es vielleicht schon geahnt: das konnte nicht so positiv weiter gehen. Der Rückfall kommt am darauf folgenden Wochenende. Wieder habe ich große Schlaf-Probleme. So empfinde ich das zumindest. Wieder versuche ich krampfhaft, einzuschlafen und durchzuschlafen, um mich genau damit um den Schlaf zu bringen. Wieder funktioniert nichts von dem, was ich in der Klinik dachte, gelernt zu haben.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag soll ich mich zu Hause wieder „paradox“ verhalten und versuchen, auf keinen Fall zu schlafen. Doch statt dies mit einem Lächeln als Herausforderung zu sehen, liege in der Nacht und ärgere mich. Die Stille schreit mich an und das Dunkel ist so hell, dass selbst verschlossene Augen nichts ausrichten können. Mein alter Gedanke ist wieder da: „Ich will doch einfach nur schlafen“. Ein Gedanke, so naiv wie falsch und vor allem ein Gedanke vom Beginn meiner Therapie. Schon wieder ist mein Leidensdruck so groß, dass ich vergesse, dass „Schlafprobleme“ nur das Symptom ist, aber nicht die Ursache. Trotzdem mache ich lehrbuchartig alle Fehler, die man als Patient so machen kann. Als ob ich nichts dazu gelernt hätte. Alles wieder zurück auf Anfang, so fühlt sich das an. Nach fast zwei Monaten Therapie.

Mann mit Schirm im Regen
Quelle: Pixabay / Pexels

Soll ich aufgeben?

Am Sonntag Morgen habe ich zwar einige Stunden auf der Schlaf-Uhr zusammen bekommen, aber ich fühle mich verzweifelt: das bringt doch alles nichts, das macht alles keinen Sinn, ich lerne da überhaupt nichts, mir kann niemand helfen. All das sind Sätze, die wie scheue Rehe in meinem Kopf hin und her springen. Eine ganze Herde davon. Unkontrollierbar. Oder wo wir gerade bei mehr oder minder guten Metaphern sind: wie ein riesiges Gewitter mit lautem Regen und Hagel und niemals enden wollenden Blitzen. Der Wind peitscht mir ins Gesicht, in bin tropfnass und kann vor lauter Regen nichts mehr erkennen. Nicht den Weg, den ich schon zurück gelegt habe, nicht das Ziel, auf das ich zusteuere. Kopf-Chaos. Am liebsten würde ich alles hinwerfen. Der kleine Erfolg vom Wochenende vorher hat sich irgendwo unter dem Bett verkrochen und ist unauffindbar.

All das ist in den darauf folgenden Tagen ein wichtiges Thema in der Klinik. Denn es kommt noch schlimmer: in der Nacht nach dem Wochenende daheim schlafe ich plötzlich auch in der Klinik schlecht. Der Ort, der in den letzten Wochen mein Rettungsanker war, weil ich hier immer gut ein- und durchschlafen konnte. „Jetzt geht das hier auch noch los“, denke ich und katastrophisiere: „Ich werde nie mehr einen Ort finden, wo ich schlafen kann und mein Leben wird den Bach runter gehen“. 

Das macht doch alles keinen Sinn!?

Ich fühle mich von den Therapeuten unverstanden und in diesem „Laden“ völlig fehl am Platz. „Ja, ist ja schön, dass wir an den Ursachen im Hintergrund arbeiten, aber wenn sich das vordergründige Symptom nicht langsam verbessert, drehe ich durch“. Ich schnauze den Klinik-Leiter an, beschwere mich, fühle mich nicht ernst genommen, entschuldige mich anschließend für die – für meine Verhältnisse – rüde Wortwahl. Ich ahne, dass die Mitarbeiter in einer Klinik damit umgehen können, denn sie zeigen einen Persönlichkeitsanteil, der für die Therapie noch wichtig werden könnte: Ich bin sehr unversöhnlich mit mir, glaube mir nichts, rechne – wie mein Vater – „immer“ damit, dass „alles“ im Chaos enden wird. Unterm Strich: Ich habe kein Vertrauen. Nicht in mich, nicht in die Klinik, nicht in andere Menschen, nicht in mein Leben.

Gewitterwolken mit Blitzen
Quelle: Pixabay / WikimediaImages

Dabei wollte ich doch in zwei Wochen die Klinik verlassen. Ich bin riesig enttäuscht von mir selbst. Mutlos. Traurig. Aber zumindest belehrbar: Mitglieder aus meiner Therapiegruppe überzeugen mich, dass es keinen Sinn macht, auf Biegen und Brechen eine Therapie zu beenden, nur weil man es mal so geplant hatte. Ich verlängere meinen Aufenthalt. Ein weiterer Monat. Und bin von mir selbst enttäuscht, „es“ nicht schneller geschafft zu haben. Therapie kostet viel Geduld.

Hoffnung, Enttäuschung, Hoffnung

An diesem Punkt könnte ich aufhören zu schreiben und es wäre eine traurige Geschichte. Aber das Leben ist eben anders und so ergibt sich nur einen Tag später eine Überraschung. Einer meiner Therapeuten erzählt mir davon, dass er früher selbst mal große Schlafprobleme hatte, als sein Leben in einer schwierigen beruflichen Phase war. Ihm habe es geholfen, sich folgendes vorzustellen, wenn er im Bett liegt:

„Super, dass ich jetzt hier liegen kann. Das Bett ist sooo gemütlich und die Bettdecke ist sooo kuschelig. Man, ich fühle mich hier gerade richtig wohl. So wie in einer Kuschel-Höhle. Ich darf hier einfach so entspannt liegen, muss gar nichts leisten, wenn ich will kann ich einfach lesen oder ein Hörspiel hören und mich einfach wohl fühlen. Ausstrecken, gähnen, die Gemütlichkeit genießen.“

 

Fast muss ich weinen, als ich das hier aufschreibe, denn es trifft genau das, was ich gerne wieder für ein Bett empfinden möchte. Statt Angst vor der nächsten Nacht.

Mann im Wald mit Sonnenaufgang hinter Bäumen
Quelle: Pixabay / Joe

Wie finde ich wieder Vertrauen in mich?

Ich probiere es aus. Es tut keine Wunder und ich brauche eine halbe Stunde, damit es wirkt. Aber ich merke, wie mir wohlig warm wird. Und ich mich richtig gut fühle. Ich schlafe ein und durch, bis der Wecker klingelt. Das klingt so einfach, dass es lächerlich wirkt. Ein paar Worte sollen die Lösung für mein jahrelanges Schlafproblem sein? Natürlich nicht. Denn  diese wenigen Worte sind das Ergebnis eines langen Prozesses und für mich viel mehr als nur ein paar einfache Worte. Ich habe an mir selbst erlebt, wie diese Worte entstanden sind, die Hoffnungen und die Verzweiflung beobachtet und der Wunsch, endlich eine Lösung zu finden. „Moooooment, das wollen wir erst mal abwarten“, denke ich skeptisch. Zu viel schlimmes habe ich in letzter Zeit erlebt. Und in der Tat laufen psychische Prozesse nicht linear, wie ich inzwischen weiß. Aber jeder kleine Erfolg ist ein Erfolg. Jeder gute Tag ist ein Tag für meine „Gute Tage-Liste“. Geduld! Das schwierige Wort für mich. Ich werde sehen, wie es weiter geht.

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